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Energiewende erFahren 2024

2. Tag der Energiewende-Tour: Schwimmende PV, Windkraft und Biomethan

Die Tourteilnehmer erfuhren, wie man auf einem Baggersee Strom erzeugt, warum Windkraftgetriebe trotz steigender Leistung leichter werden und wie man CO₂ aus Biogasanlagen gewinnt.

Lesezeit: 7 Minuten

Einen Baggersee in einem Kieswerk kann man heute vierfach nutzen: Zur Rohstoffgewinnung (Sand und Kies), als Biotop, als Tourismusziel – und neuerdings auch zur Energieerzeugung. Wie das geht, erklärte am zweiten Tag der Radtour „Energiewende erFAHREN 2024“ der Leiter der Unternehmenskommunikation der Holemanns GmbH, Dr. Jürgen Fröhlich. Das Unternehmen ist in der Vermarktung, Aufbereitung und Vermarktung von Sand und Kies an sechs Standorten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen tätig.

Am Kieswerk Ellerdonk (Wesel) hat Holemans einen neuen Weg beschritten: Auf einer Größe von 3,1 ha ist hier eine schwimmende Solaranlage mit insgesamt 5,6 MW Leistung installiert. Die 10.400 Solarmodule sind dachförmig mit Ost-West-Ausrichtung auf Schwimmkörpern montiert. Auf der schwimmenden Einheit befinden sich zudem Kabel, Wechselrichter und Trafostationen. Der Strom wird über ein Kabel an Land geführt und dient ausschließlich der Eigenversorgung. Im Jahr soll die Anlage knapp 5 Mio. kWh erzeugen. 60 % davon wird im Betrieb verbraucht, der Rest ins Netz eingespeist. „Wir decken damit rund 40 % unseres Strombedarfs, den wir im Kieswerk für Pumpen, Bagger, Sauger oder Förderbänder benötigen“, erklärt Fröhlich.

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Die Anlage hat laut Studien auch Vorteile fürs Gewässer: Die Beschattung verhindert übermäßiges Algenwachstum, die Fische finden ein Versteck und Vögel rasten auf dem Ponton.

Zuviel Bürokratie

Laut Fröhlich könnte noch viel mehr Solarstrom auf Gewässern erzeugt werden, auch wenn die Anlagen rund 1,5 mal teurer seien als Freiflächenanlagen an Land. Denn Sand und Kies würden über Jahre noch benötigt: Zum einen seien sie wichtige Tauschprodukte im internationalen Handel. Zum Anderen benötigt beispielsweise eine Windenergieanlage rund 2,5 t Sand, ein Einfamilienhaus 700 t. „Doch leider sieht die Politik das anders. Sand- und Kiesgewinnung ist häufig unerwünscht. Und mit viel Bürokratie wird auch der Ausbau der schwimmenden Photovoltaik gehemmt“, kritisiert er.

So hat die Genehmigung für die Solaranlage in Ellerdonk knapp 3 Jahre gedauert. Zudem hat der Gesetzgeber mit dem Osterpaket 2023 neue Hürden aufgebaut: Die Anlagen müssen seitdem mindestes 40 m vom Ufer entfernt verankert werden und dürfen auch nur 15 % der Wasserfläche bedecken. „Unter diesen Voraussetzungen wäre eine Anlage wie in Ellerdonk heute nicht mehr möglich und wäre auch nicht wirtschaftlich. Wir hätten nur 2,25 ha belegen können“, sagt er. Die Vorgaben hätten keinen fachlichen Hintergrund. Ein weiteres Hindernis sei, dass die PV-Anlage nach Ablauf der Genehmigung für die Sand- und Kiesgewinnung auch abgebaut werden muss, obwohl sie noch länger Strom produzieren könnte.

Technischer Fortschritt in der Gondel

Warum Getriebe für Windenergieanlagen immer größer und dennoch leichter werden, erfuhren die Tourteilnehmer bei Flender in Voerde. Flender ist ein führender Hersteller von mechanischer und elektrischer Antriebstechnik, also Getriebe, Kupplungen, Generatoren und auch spezielle Servicedienstleistungen und digitale Lösungen. Seit 1981 bietet die 1899 gegründete Firma mit Hauptsitz in Bocholt und weltweit knapp 9000 Mitarbeiten (davon 3000 allein in Nordrhein-Westfalen) spezielle Technik für die Windenergie an. Nach eigenen Angaben ist Flender bei Getrieben, Kupplungen und Generatoren sogar der Weltmarktführer und hat bis heute Antriebstechnik für 350 GW Leistung geliefert. Seit 2001 fasst der Hersteller die Windenergietechnik unter der Marke Winergy zusammen.

Das Getriebemontagewerk in Voerde, das die Brüssel-Radler besichtigen durften, ist der weltweit größte Fertigungsstandort von Flender. Hier werden Getriebe montiert und auf Prüfständen getestet. Zum Sortiment gehören z.B. Windturbinengetriebe, Planetengetriebe, Horizontal-Mühlenantriebe oder Schiffsgetriebe.

Die gigantischen Stahlkolosse sind wahre Schwergewichte: Ein Getriebe für eine moderne Anlage mit 7 MW Leistung wiegt knapp 43 t. An der Gewichtsoptimierung lässt sich auch der technische Fortschritt erkennen: Die Getriebegeneration vor zehn Jahren für eine Anlage mit 5 MW hat noch 63 t gewogen. Gelungen ist das laut Flender, indem man von Wälzlager auf Gleitlager umgestellt hat. Gleitlager nehmen weniger Platz in Anspruch und können mehr Lasten tragen. Die Gewichtsoptimierung ist wichtig, weil das Gondelgewicht Auswirkungen auf den Umfang der Gründung einer Windenergieanlage hat. Und gigantisch geht es weiter: Mittlerweile sind Anlagen mit 15 MW in der Entwicklung. Der gesamte Antriebsstrang wird 250 t wiegen.

RWE setzt auf Wasserstoff

Ebenfalls in Voerde stellte Dr. Stefan Berrisch, Leiter der Genehmigungsabteilung von RWE, die Innovations- und Wachstumsstrategie „Growing Green“ des Konzerns vor. Dabei drückt das Unternehmen aufs Tempo:

  • Das Zubautempo an erneuerbaren Energien soll um ca. 70 % erhöht und jährlich 2,5 GW neu installiert werden.

  • Weltweit will RWE 55 Mrd. € zwischen 2024 und 2030 investieren.

  • Ziel sind 65 GW Erzeugungskapazität mit Windparks (an Land und auf See), Solaranlagen, Speichern, flexiblen Backup-Kapazitäten und Wasserstoff.

  • Dazu kommen sollen 3 GW wasserstofffähige Gaskraftwerke und 2 GW Elektrolyseurkapazität zur Produktion von grünem Wasserstoff.

Zur neuen Ausrichtung gehört auch die Umrüstung bestehender Kraftwerke wie z.B. ein Nachnutzungskonzept für das Steinkohlekraftwerk in Voerde mit ehemals 2,4 GW elektrischer Leistung, das 2017 stillgelegt wurde. „Der Standort hat hervorragende Bedingungen: Hier sind drei Spannungsebenen verfügbar, die Verkehrsanbindung ist mit Autobahn, Bahnschluss und der Nähe zum Rhein hervorragend, es gibt einen Gasnetzanschluss und eine gute Wasserversorgung“, zählt Berrisch auf. Darum sei der Standort sehr gut zur Unterstützung der Energiewende geeignet.

Umrüstung in Voerde

Das alte Kraftwerk soll zur Verbesserung des Landschaftsbildes weiter abgerissen werden. Der Rückbau hat 2023 begonnen, der große Kühlturm ist schon nicht mehr zu sehen. Stattdessen will der Konzern folgende Technologien aufbauen:

  • Ab 2027 soll die Produktion von Wasserstoff mit einer Elektrolysekapazität von 400 MW (elektrisch) starten, Ausbauziel sind 800 MW.

  • Die Stromversorgung soll mit erneuerbaren Energien erfolgen.

  • Der Wasserstoff könnte über Pipelines und Tankwagen abtransportiert werden.

  • Bis 2030 soll zudem ein wasserstofffähiges Gaskraftwerk mit einer Leistung von 900 MW entstehen. Es soll mit einer Mischung von Erdgas und Wasserstoff betrieben werden. Dank Zellkühler soll auch die Abwärme genutzt werden können. Der Wirkungsgrad liegt laut RWE bei über 60 %.

„Voraussetzung für die Umsetzung ist allerdings, dass jeweils der gesetzliche Rahmen und die Wirtschaftlichkeit gegeben sind“, sagt Berrisch und unterstreicht damit, was heute auch jeden Betreiber einer dezentralen, Erneuerbare-Energien-Anlage umtreibt. Zudem fordert RWE den Zugang zum Wasserstoffleitungsnetz.

„Die Industrie braucht den Wasserstoff sehr dringend“, mahnt auch der Europa-Parlamentarier Jens Geier (SPD), Mitglied im Industrie-, Forschung- und Energieausschuss und Berichterstatter für Wasserstoff. „Die RWE will hier viel Wasserstoff produzieren, aber der Bedarf ist so riesig, dass wir auch viel importieren werden“, ist er überzeugt. Der Transport werde über das Derivat Ammoniak (NH3 ) erfolgen. Doch entsprechende Schiffe gäbe es noch nicht. Zudem habe u.a. Japan auch hohen Bedarf. „Darum hoffe ich, dass wir die inländische Produktion steigern können, um mehr als 10 % des Bedarfs mit heimischen Mengen decken zu können“, sagt er. Diese Menge ist der Anteil, den die Bundesregierung mit ihrer Wasserstoffstrategie anstrebt, 90 % sollen importiert werden. Dabei sieht er als Wasserstofflieferanten nicht nur den Überseeraum, auch in Europa werden Kapazitäten entstehen, die das Industrieland Deutschland nutzen könnte. Als Beispiel nennt er die Pipeline H2Med zwischen Barcelona und Madrid, die nach Deutschland verlängert werden soll.

Biomethan ist günstiger

Ein Gas, das heute schon verfügbar ist und weniger von Zukunftsvisionen abhängt, ist Biomethan, also auf Erdgasqualität aufbereitetes Biogas. Dass bei der Aufbereitung nicht nur Biomethan, sondern auch verwertbares CO₂ anfällt, erklärte der Gruppe Marco Weiß, Mitgeschäftsführer des Anlagenherstellers ETW Energietechnik aus Moers. Das 1997 gegründete Familienunternehmen stellt neben BHKW auch Biogasaufbereitungsanlagen nach dem Prinzip der Druckwechseladsorption (Pressure Swing Adsorption, PSA) sowie Verflüssigungsanlagen für CO₂ her. Weiß zählt die Vorteile gegenüber Wasserstoff auf: „Biomethan ist nur halb so teuer. Zudem kann das vorhandene Erdgasnetz zur Durchleitung, aber auch als Speicher genutzt werden.“

ETW wird in diesem Jahr etwa 15 Aufbereitungsanlagen bauen. Rund die Hälfte der Investoren sind Anlagenbetreiber, die heute von der Stromerzeugung auf Biomethaneinspeisung umstellen wollen. Die andere Hälfte sind Neuanlagen.

Auch für das CO₂ aus regenerativen Quellen steigt die Nachfrage. Gerade die Kombination einer PSA mit der CO2-Verflüssigung sei sehr gut geeignet, weil bei der Aufbereitung hochreines CO₂ anfällt. Der Preis liegt laut Weiß bei 40 bis 50 €/t. Da die Infrastruktur wie z.B. die Tankauflieger auf CO₂ in Lebensmittelqualität ausgelegt ist, sei es notwendig, dass CO₂ entsprechend herzustellen – auch wenn es später zur technischen Anwendung vermarktet wird.

Film zur Tour

Auf Youtube finden Sie einen Film zu dieser Tagesetappe der Tour "Energiewende erFAHREN 2024".

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