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Göttinger AgrarDebatten

Agrardieselkürzung: Landwirtin hält Regierungsbeschluss für unüberlegt und unfair

Am Freitag diskutierten Experten aus Landwirtschaft und Agrarwissenschaften der Universität Göttingen über das Agrardiesel-Aus und die Demonstrationen. Die aktuellen Pläne der Regierung seien laut der Redner nicht weit genug gedacht.

Lesezeit: 5 Minuten

Die Universität Göttingen gab dem aktuellen Diskussionsbedarf rund um das Agrardiesel-Aus und die KfZ-Steuerbefreiung am vergangenen Freitag Raum. Im Rahmen des Formats „AgrarDebatten“ tauschten fünf Experten aus Landwirtschaft und Wissenschaft ihre Meinungen aus und stellten sich den Fragen der rund 290 Zuhörer.

Einen ökonomischen Blick auf die aktuelle Agrardieselthematik gaben Prof. Dr. Bernhard Brümmer, Vizepräsident der Uni Göttingen, und Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel, Professor für Agrarpolitik der Uni Göttingen. Theresa Schmidt, Landwirtin und Vorsitzende des Bundes der Deutschen Landjugend, Marie von Schnehen, Landwirtin und Initiatorin der Agrardiesel-Petition im Bundestag, und Marie Hoffmann, Landwirtin und Agrarinfluencerin, beleuchteten das Problem aus Sicht der praktischen Landwirtschaft und der Öffentlichkeit.

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Es geht um mehr als nur den Agrardiesel

Generell herrschte Einigkeit unter den Experten darüber, dass die Kürzung der Agrardieselrückvergütung für die meisten deutschen Betriebe nicht existenzbedrohend sei. Hofnachfolgerin Theresa Schmidt hat für ihren Betrieb bereits berechnet, was ein möglicher Wegfall des sogenannten Agrardiesels ausmachen würde; ihr würden demnach jährlich rund 2.500 € fehlen.

Professor Brümmer meint, dass der Strukturwandel durch eine solche Maßnahme ebenfalls nicht beschleunigt würde. „Weil die Agrardieselsubvention linear mit der bewirtschafteten Fläche anwächst, wird die Abschaffung keine Strukturwandelbeschleunigung nach sich ziehen. Denn die größeren Betriebe werden von der Agrardieselsubvention wesentlich stärker beeinflusst.“

Die intensiven Reaktionen auf die Entscheidung der Politik, den Agrardiesel zu streichen, haben laut von Cramon-Taubadel andere Gründe: In der aktuellen Debatte gehe es darum, „das große Ganze“ zu sehen, anstatt sich auf den Agrardiesel zu versteifen.

Unüberlegt und unfair

Auch die Art und Weise, wie die Politik die Kürzungen einführen will, sorgte für Aufregung bei den Diskussionsteilnehmern. Landwirtin Marie von Schnehen hält den Beschluss der Regierung für unüberlegt und nicht fair.

Mit der Streichung der Agrardieselrückvergütung wird die Agrarbranche überproportional belastet.
Marie von Schnehen

Die Landwirtschaft mache nur 0,7 % der Bruttowertschöpfung aus, solle aber mit 900 Mio. € einen erheblichen Anteil leisten, um das Haushaltsloch zu stopfen. Die steigenden Produktionskosten können die Landwirte nicht weitergeben, da die Preise für landwirtschaftlich erzeugte Produkte auf dem Weltmarkt festgelegt werden. Die Kürzung des Agrardiesels bringe eine weitere Belastung, die den Handlungsspielraum der Landwirte einschränkt. Dies verringere auch die Bereitschaft, Risiken auf sich zu nehmen und Zukunftsinvestitionen zu tätigen.

Auch Marie Hoffmann stört sich an der Herangehensweise der Politik in Bezug auf das Agrardiesel-Aus: „Kürzungen vorsehen, aber keine Weichen für alternative Antriebskonzepte stellen.“ Elektromobilität oder Biokraftstoffe seien ihrer Meinung nach noch nicht ausgereift genug, um den Diesel vollständig zu ersetzen. Die Politik unternimmt laut Hoffmann hier keine Anstrengungen, diese zu genehmigen oder zu fördern.

Wir sind lösungsorientiert, zukunftsorientiert und wollen nicht für immer diesen Dieseltraktor fahren, aber wir brauchen erstmal die Alternativen.
Marie Hoffmann

Konkurrenzkampf innerhalb der EU?

Ein weiteres Diskussionsthema waren die unterschiedlichen Produktionskosten in den EU-Mitgliedsländern. Abgesehen von der Agrardieselvergütung gebe es weitere Verordnungen, die in Deutschland höher sind als im Rest der EU und damit einen Wettbewerbsnachteil schaffen, vermutete Moderatorin Denise Dreist. Theresa Schmidt stimmte dem zu und forderte faire Bedingungen sowie die Minimierung von Nachteilen, anstatt sie durch das Agrardieselaus weiter zu erhöhen. Prof. von Cramon-Taubadel fügte hinzu: „Wenn die Bundesregierung mit höheren Standards in Deutschland vorprescht, hat das Folgen auf die Wettbewerbsfähigkeit, darüber sollte man sich im Klaren sein“.

Die Unterschiede im Binnenmarkt ließen sich, laut Prof. Bernhard Brümmer, nie vollständig lösen. „Wir wollen uns in einer Marktwirtschaft gemäß unserer komparativen Kostenvorteile spezialisieren“, gibt er zu verstehen. Jedoch sollten zusätzliche Produktionskosten, die aufgrund von speziellen Erwartungen der Gesellschaft (Tierwohl oder Pflanzenschutz) entstehen, auf der europäischen Ebene diskutiert werden. Auch von Cramon-Taubadel ist der Meinung, dass die Bundesregierung sich in Brüssel Verbündete suchen sollte, um gemeinsam die europäischen Standards anzuheben.

Proteste – aber friedlich

Einigkeit herrschte unter den Diskutanten darüber, dass einige Formen des Protests in den letzten Tagen kritisch zu betrachten seien. Es gebe genug demokratische und friedliche Protestmöglichkeiten, wie die Petition von Marie von Schnehen zeigt. Mit knapp 1,1 Mio. Unterschriften ist ihre Petition auf change.org eine der erfolgreichsten überhaupt. Hier stimmten seit Mitte Dezember viermal so viele Menschen ab, wie es landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland gibt. Das zeigt auch, dass die Landwirte aktuell großen Rückhalt aus der Bevölkerung genießen.

Auch Agrarinfluencerin Marie Hoffmann hat diesen Rückhalt beobachtet. Sie sei viel in Kommentarspalten von Accounts außerhalb der Agrar-Bubble unterwegs. Aufgrund der aktuellen Ereignisse sieht sie diesen Rückhalt jedoch gefährdet: „Wir müssen uns als Branche auch an die eigene Nase fassen und darauf achten, wie wir uns äußern und welche Protestaktionen wir starten.“

Theresa Schmidt fällt dazu auf: „Im Moment bestimmt ein schwarzes Schaf die Farbe der gesamten Herde“. Denn trotz aller Distanzierungen von der AfD und von radikalen und gewaltsamen Protesten werde den Landwirten genau das immer wieder vorgeworfen.

Mehr Vertrauen schaffen

Die Gesellschaft müsse in Zukunft stärker mitgenommen und darüber informiert werden, was die Landwirte tun und warum, sagt Theresa Schmidt zum Abschluss der Gesprächsrunde. Nur so könne die Branche das fehlende Vertrauen zurückgewinnen und sich Zeit verschaffen, um Lösungen zu finden. Denn aktuell werde der Alltag von Landwirten durch ständig neue Auflagen, Bürokratie und Vorschriften bestimmt, als ob man ihnen nicht mehr zutrauen würde, ihre Arbeit richtig zu machen. Sie betont: „Wir brauchen ein bisschen mehr Vertrauen und faire Bedingungen“.

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