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Interview zum Baurecht

Baugesetzbuch geändert: Wo darf man jetzt privilegiert hofnahe Agri-PV bauen?

Seit Sommer 2023 sind Agri-Photovoltaikanlagen im Außenbereich privilegiert. Rechtsanwalt und Diplom-Forstwirt Jens Vollprecht erklärt, wie die Regelungen im Baugesetzbuch zu verstehen sind.

Lesezeit: 7 Minuten

Eine große Hürde beim Ausbau der Solarenergie auf landwirtschaftlichen Flächen ist das Baurecht. In vielen Fällen müssen die Gemeinden zunächst einen Bebauungsplan beschließen. Erfolgt dies nicht, kann eine Baugenehmigung nicht erteilt werden. Für bestimmte Agri-PV, also PV-Anlagen auf zugleich landwirtschaftlich genutzten Flächen, gibt es seit Sommer letzten Jahres eine Erleichterung: Sie sind, wie z.B. Stallbauten, im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 BauGB  privilegiert. Vorteil der Privilegierung ist, dass Bauanträge von der zuständigen Behörde genehmigt werden können, ohne dass die Gemeinde vorher einen Bebauungsplan beschließen muss. Das erspart Kosten und insbesondere Zeit. Die neue Vorschrift sorgt allerdings für Unsicherheiten bei den Gemeinden. Wie ist die neue Rechtslage einzuschätzen?

Herr Vollprecht, wie groß darf eine Agri-PV nach § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 BauGB maximal sein? Bezieht sich die Angabe von 25.000 qm auf die Projektfläche oder die von der Agri-PV Anlage überdeckte Fläche?

Vollprecht: Klar ist die Zahl, nämlich die 25.000 qm. Die steht so im Gesetz. Bei der Grundfläche steigen wir direkt mit einer spannenden Frage ein. § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 BauGB ist ein Privilegierungstatbestand mit vielen auslegungsbedürftigen Begriffen, Begriffen also, bei denen es nicht eindeutig ist, wie sie zu verstehen sind. 

Es gibt aber die klassischen juristischen Auslegungsmethoden, mit denen man solche unbestimmten Rechtsbegriffe „knackt“.  Mit Blick auf die maximale Größe spricht das Gesetz von „Grundfläche“. Dieser Begriff wird im Baurecht häufig verwendet. Man versteht darunter die von der baulichen Anlage überdeckte Fläche. 

Bei Agri-PV wäre das also die Fläche, die aus der Vogelperspektive gesehen u.a. durch die Module verdeckt wird. Bei Solarzäunen könnte das zu sehr großen von dem Projekt in Anspruch genommenen Flächen führen. Denn von oben sieht man diese Zäune ja kaum. 

Der Gesetzgeber des Baugesetzbuchs möchte den Außenbereich grundsätzlich von einer Bebauung freihalten. Dort soll man sich erholen und die frische Luft genießen. Möchte man diese größtmögliche Schonung des Außenbereichs in den Begriff der Grundfläche „hineinlesen“, würde man unter „Grundfläche“ wohl die Projektfläche verstehen. Hier würden dann u.a. auch die landwirtschaftlichen Flächen zwischen den Modulen mitgezählt werden. 

Meines Erachtens sprechen die besseren Argumente für den ersten Ansatz. Der Aspekt der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs wird beim „räumlich-funktionalen Zusammenhang“ berücksichtigt, der in § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 BauGB als weitere Voraussetzung genannt wird. Er wird also nicht außer Acht gelassen.

Es spricht viel dafür, dass mit 25.000 m² die Modulfläche gemeint ist.
Jens Vollprecht

Privilegiert sind laut Gesetz Anlagen, die im räumlich-funktionalen Zusammenhang zu einem land- bzw. forstwirtschaftlichen Betrieb oder einem Gartenbaubetrieb stehen. Was bedeutet das? Ist z.B. eine Entfernung der Anlage von 200 m zum Betrieb davon noch abgedeckt?

Vollprecht: Der „räumlich-funktionale Zusammenhang“ ist ein alter Bekannter aus § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BauGB, der sich mit Biogasanlagen beschäftigt, und es existieren bereits zahlreiche gerichtliche Entscheidungen dazu. Blind übertragen sollte man die Entscheidungen aber nicht. Denn Agri-PV unterscheidet sich in ihrem Erscheinungsbild von Biogasanlagen.

Ob eine Anlage in 200 m Entfernung noch im räumlichen Zusammenhang zum Betrieb steht, lässt sich nicht pauschal beantworten. Wichtig ist, dass zwischen der Anlage und dem Betrieb nach außen hin der Eindruck des Zusammengehörens gegeben ist. Denn der Außenbereich soll bildlich gesprochen nicht „zersiedelt“ werden. Wie bereits erwähnt kommt hier der Aspekt der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs zum Tragen. Je nach den Verhältnissen vor Ort können 200 m also bereits zu weit weg oder eben noch nah genug dran sein. 

Was den funktionalen Zusammenhang angeht ist der Nutzen der Agri-PV für den Betrieb entscheidend. Allein die Tatsache, dass die Solaranlage auf einer auch landwirtschaftlich genutzten Fläche steht, reicht nicht. Diese „friedliche Koexistenz“ der beiden Nutzungen wird für eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 BauGB schon mit der Anforderung „Agri-PV-Anlage im Sinne des § 48 EEG“ vorausgesetzt.

Bei dem funktionalen Zusammenhang muss also mehr erfüllt werden - sonst hätte man die Voraussetzung nicht in das Gesetz aufnehmen müssen. Ein Anknüpfungspunkt kann der Verbrauch des in der Agri-PV erzeugten Stroms in dem Betrieb sein. Werden mindestens 2/3 des erzeugten Stroms dort genutzt, wird diese Anforderung meines Erachtens jedenfalls erfüllt sein. 

In der Regel wird man diesen hohen Anteil aber wohl kaum erreichen. Denn meiner Erfahrung nach liegt der Anteil häufig eher bei ca. 10 %. Dies wird man bei der Beurteilung im Auge behalten müssen. Allerdings ist zu bedenken, dass in der Agri-PV noch mehr „steckt“.

Forschungsergebnisse zeigen, dass die Systeme die Pflanzen je nach Ausgestaltung u.a. vor Hagel, Starkregen, Sonnenbrand, Frost, Erosion und/oder Trockenheit schützen können. Agri-PV kann die Landwirtschaft also fit für den Klimawandel und damit für die Zukunft machen. Wird das Konzept entsprechend aufgesetzt, ist der funktionale Zusammenhang zum Betrieb gegeben. Letztlich kommt es auf den Einzelfall und eine Gesamtbetrachtung an.

 Das Gesetz schreibt vor, dass je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage zulässig ist. Bedeutet das, dass Landwirte mit mehreren Hofstellen auch mehrere Anlagen betreiben dürfen?

Vollprecht: Das ist zumindest nach dem Wortlaut nicht ausgeschlossen. Man könnte möglicherweise aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass der Gesetzgeber nur eine Agri-PV je Betrieb zulassen wollte. Vielleicht also erst einmal mit einer Anlage anfangen.

Muss es sich bei der Hofstelle um Eigentum des Landwirts handeln? Oder ist auch eine Pachthofstelle als Ausgangspunkt für die Privilegierung denkbar?  

Vollprecht: Die Formulierung „Eigentum“, „im Eigentum“ o.ä. findet sich in der Vorschrift nicht. Wichtig ist daher nur, dass die Hofstelle dem land- und forstwirtschaftlichen Beitrieb bzw. dem Gartenbaubetrieb nach § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. 2 BauGB zivilrechtlich zugeordnet ist. Das ist grundsätzlich auch bei gepachteten Hofstellen möglich. Schließlich obliegt die Organisation des Betriebs dem Landwirt und ob er die Hofstelle pachtet oder sie in seinem Eigentum steht bzw. er sie in sein Eigentum übernimmt, ist ihm überlassen.

Muss der die Fläche bewirtschaftende land- oder forstwirtschaftliche Betrieb bzw. der Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung zwingend auch Betreiber der Agri-PV sein?

Vollprecht: In § 35 Abs. 1 S.1 Nr. 9 BauGB ist nicht explizit vorgegeben, dass der Betreiber des Betriebs und der Betreiber der Agri-PV personenidentisch sein müssen. „Knackpunkt“ könnte möglicherweise aber der funktionale Zusammenhang sein: Wenn ein Dritter die Anlage betreibt könnte der Anschein entstehen, die „wirkliche“ Funktion der Agri-PV ist nicht der Nutzen für den Betrieb, sondern primär die Stromproduktion.

Führt man sich aber vor Augen, welche Anforderungen an den funktionalen Zusammenhang gestellt werden, setzen diese nicht zwangsläufig eine Personenidentität voraus. Vielmehr knüpfen sie - wie erläutert - entweder an den Stromverbrauch und/oder an die Eigenschaften der Agri-PV mit Blick auf das Pflanzenwachstum an. 

Bei einer Agri-PV sind laut DIN SPEC 91434 mindestens 85 % des Bodens unter der Anlange landwirtschaftlich zu bewirtschaften, vorgeschrieben ist ein Mindestertrag von 66 % des regionalen Ertrags. Sind solche Agri-PV auch auf Grünland zulässig? Welche Bewirtschaftung muss man einhalten?

Vollprecht: Vorweg: Die Privilegierung von Agri-PV erstreckt sich auch auf Grünland-Agri-PV. Denn die Vorschrift spricht von „Agri-PV im Sinne des § 48 EEG“ und dort wird auch die Grünland-Agri-PV erwähnt. Die von Ihnen angesprochene DIN SPEC sucht man dort jedoch vergeblich. Diese kommt erst über eine sog. Festlegung der Bundesnetzagentur ins Spiel. 

Richtig ist, dass nach der DIN SPEC verschiedene Kriterien erfüllt werden müssen. Diese sollen eine Abgrenzung zu den „klassischen“ Freiflächenanlagen ermöglichen. Die angesprochenen Anforderungen sind nur ein Teil der Vorgaben und der Teufel steckt hier wie immer im Detail. Beispielsweise darf der Verlust von landwirtschaftlich nutzbarer Fläche bei Anlagen der „Kategorie II“ bei max. 15 % liegen. Bei der „Kategorie I“ darf er 10 % nicht überschreiten. Zudem ist u.a. zu beachten, dass Ackerland nicht in Grünland umgewandelt werden darf.

Für die Ermittlung des Referenzertrags wird in der DIN SPEC erläutert, dass der Ertrag der letzten 3 Jahre gemittelt wird. Darunter verstehe ich den tatsächlichen Ertrag der in Frage stehenden Fläche. Mit Blick auf das Grünland ist es vielleicht auch interessant zu wissen, dass es bald eine DIN SPEC geben wird, die speziell auf die Tierhaltung zugeschnitten ist.

 Bleibt die Fläche, auf der die Agri-PV gebaut wird, im landwirtschaftlichen Vermögen, so dass es keine Erbschaftssteuerproblematik wie bei der Freiflächen-PV gibt? 

Vollprecht: Wenn die Agri-PV den hohen Anforderungen der o.g. DIN SPEC entspricht, kann die landwirtschaftliche Fläche weiterhin dem land- und forstwirtschaftlichen Vermögen zugerechnet werden. Dies ergibt sich aus einem gemeinsamen Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder. Werden die Anforderungen nicht erfüllt, muss man aber die Flinte noch nicht ins Korn werfen. Es gibt noch andere Wege.

 

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