Dieser Kommentar von top agrar-Chefredakteur Guido Höner ist zuerst erschienen im Juni 2023.
Ich kenne das selbst: Im Herbst war ich sonntags mit einem Abfuhrgespann bei der Maisernte unterwegs. Auf einer breiten Straße kam mir ein Rennradfahrer entgegen. Er schüttelte heftig mit dem Kopf und hob die Faust – obwohl ich rechts angehalten hatte. Und ich gebe zu: Mein Puls kam hoch und ich war versucht, dem empörten Radler hinterherzurufen, was er denn eigentlich wolle.
An unserer Onlineumfrage zum Thema „Anfeindungen am Feldrand“ hatten sich bis Mitte des Monats über 5.000 Nutzer beteiligt. 16 % gaben an, regelmäßig am Feldrand oder auf den Wirtschaftswegen beschimpft zu werden. Und 4 % wurden sogar tätlich angegriffen. Das macht ratlos und frustriert gewaltig.
Möglicher Auslöser ist der Dauerdruck durch Medien, NGOs und auch die Regierung. Vielleicht ist es aber auch die Entfremdung. Immer weniger Menschen kennen eine Bäuerin oder einen Bauern. Wer aus der Stadt aufs Dorf zieht, erwartet dort oft eine romantisierte Welt und will Land ohne Wirtschaft.
Aber wenn wir ehrlich sind, hat auch die Landwirtschaft ihren Anteil. Wer beim Spazierengehen von einem ungebremsten 250 PS-Schlepper mit Tridem-Mulde überholt wird und danach ein Staubbad nimmt, sieht sich in seinen Vorurteilen bestätigt. Und muss es unbedingt das Feld am Ortsrand sein, das kurz vorm Feiertag eine Gabe Wirtschaftsdünger erhält?
Ich glaube nicht, dass die Situation aussichtslos ist. Natürlich können Sie einen Schreihals auf dem Feldweg nicht zu einem Agrarfan umschulen. Hier reagieren Sie – im Rahmen der Möglichkeiten – am besten ruhig oder, wenn es nicht anders geht, gar nicht. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Viele Landwirte sind mittlerweile regelrecht weichgekocht. Die Nerven liegen durch die täglichen Bevormundungen blank.
Trotzdem: Viel mehr erreicht die Branche, wenn sie auf geschickte Kommunikation setzt. Dazu gibt es unendlich viele gute Beispiele aus der Praxis. Denn unsere Umfrage zeigt auch, dass 80 % zumindest durchwachsene oder sogar positive Erfahrungen im Dialog mit den Bürgern gemacht haben.
Hier sollten die Verbände ansetzen: Pressearbeit bei den lokalen Medien, Feldplakate, Kommunikations-Schulungen, Einladungen zum Mitfahren bei der Ernte. Warum nicht im Herbst ein Schild aufstellen: „Sorry für den Dreck – den machen wir so schnell wie möglich weg!“
Frustriertes Aufgeben kann nicht die Lösung sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass man außer den Schreihälsen über geschickte Aktionen ganz viele Menschen erreichen kann. Das muss nicht immer die Riesenaktion sein. Jedes Gespräch, jede kleine Geste hilft. Übrigens zurück zu meinem Herbst. Beim nächsten Anhalten am Wegrand hat eine Radfahrgruppe freundlich gelächelt. Es geht immer was …