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CO2-Zertifizierung: In Feld und Wald steckt Potenzial

Das Start-up CarbonStack berechnet die CO2-Bindungsleistung von wiederaufgeforsteten Wäldern und vermittelt Kohlenstoffzertifikate an Treibhausgas-Emittenten.

Lesezeit: 8 Minuten

Energieintensive Branchen wie zum Beispiel die Reise- und Luftfahrtindustrie, Zementhersteller oder die Bauwirtschaft stehen in der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie nach wie vor zu stark auf fossile Energieträger setzen und damit den Klimawandel anheizen.

Schnell gelesen

  • Unternehmen sind angehalten, ­ihren CO2-Ausstoß zu senken.

  • Das Start-up CarbonStack erzeugt CO2-Zertifikate aus Aufforstungs-­pro­­jekten. Diese nutzen Emittenten, um ein ­Gegengewicht zu ihren nicht vermeid­baren Restemissionen zu schaffen.

  • CarbonStack arbeitet derzeit an ­einem Zertifizierungsprozess für die ­Landwirtschaft.

  • Die Herausforderung liegt darin, die ­Einsparpotenziale in den vielen Prozess­schritten richtig zu bewerten.

Da die Klimadiskussion in den Medien intensiv geführt wird und von Klimaaktivisten Druck ausgeübt wird, suchen viele Unternehmen nach Möglichkeiten, den eigenen CO2-Ausstoß zu senken. Auch die politisch motivierte CO2-Bepreisung spielt eine Rolle. Der CO2-Preis für Benzin, Heizöl und Gas beträgt seit dem 1. Januar 2024 mindestens 45 € pro Tonne. In den nächsten Jahren wird der Preis weiter steigen, 2025 zunächst auf 55 €. Ab 2027 folgt dann ein europäisches Emissionshandelssystem.

Ein Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit ist, Produktionsprozesse zu optimieren. Die Luftfahrtindustrie zum Beispiel arbeitet daran, Flugzeuge strömungsgünstiger und effizienter zu bauen. Dadurch soll der Treibstoffverbrauch sinken. Auch an einem umweltschonenderen Treibstoff wird intensiv geforscht. Immer öfter wird dem Flugbenzin – Kerosin – Pflanzenfett beigemischt. Der Vorteil dieser „Sustainable Aviation Fuels“, auf Deutsch „Nachhaltige Flugkraftstoffe“, ist, dass sie beim Verbrennen nur so viel CO2 freisetzen, wie die Pflanzen vorher aus der Luft aufgenommen haben.

Die zweite Möglichkeit zur Verbesserung der firmeneigenen Umweltbilanz sind Kompensations- oder Ausgleichsmaßnahmen. Kommunen etwa können entsprechende Vorgaben machen. Wenn ein Unternehmen z. B. bei einem Neubau einer Produktionsstätte die Natur durch Flächenversiegelung negativ beeinträchtigt, kann es diesen Eingriff an anderer Stelle wiedergutmachen.

Freier Kohlenstoffmarkt

Hilfe für Ausgleichsmaßnahmen auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt bietet das Start-up CarbonStack aus Hamburg an. Das Team um den Mitgründer und Technischen Direktor (CTO) Noah Winneberger hat sich zum Ziel gesetzt, CO2-Kompensationen, die nicht zum verpflichtenden staatlichen Markt zählen, transparenter und regionaler zu machen.

CarbonStack beschäftigt sich derzeit hauptsächlich mit der Entwicklung von Aufforstungsprojekten in Deutschland. Aus diesen werden CO2-Zertifikate generiert. Bei den Zertifikaten handelt es sich um die erbrachte CO2-Speicherleistung im jeweiligen Projekt. Die Kunden von CarbonStack nutzen die Zertifikate, um Verantwortung für ihre eigenen, nicht vermeidbaren Restemissionen zu übernehmen.

Die große Herausforderung für Unternehmen besteht darin, lokale Klimaschutzprojekte zu finden. Diese kennen Marie von Veltheim und Jesper Kolk, die bei CarbonStack verantwortlich für die Projektentwicklung sind. „Wir bieten unseren Kunden Waldschadflächen zur Wiederaufforstung u. a. im Harz oder im Sauerland an. Bei den Flächen handelt es sich um Forstgebiete, auf denen die Bäume durch Stürme, Trockenheit oder Schädlinge abgestorben sind“, erklärt Agrarwissenschaftlerin Marie von Veltheim.

Sobald sie potenziell interessierte Waldbesitzer gefunden hat, erfolgt ein erstes Informationsgespräch. Darin erklärt von Veltheim den Waldbesitzern das Prozedere. Nachdem besprochen wurde, welche Bäume gepflanzt werden müssen und wie lange der Vertrag läuft, wird die Höhe der finanziellen Beteiligung an den Aufforstungskosten festgeschrieben.

Die Geschäftsidee von CarbonStack scheint aufzugehen. Inzwischen betreut das Unternehmen über 1.000 ha Aufforstungsfläche. Rund 500.000 neue Bäume wurden bislang von beauftragten Partnerunternehmen gepflanzt. CarbonStack begleitet den Prozess ausschließlich als Projektentwickler.

In der Praxis läuft das Ganze wie folgt ab:

Im ersten Schritt erfolgt die genaue Schadanalyse der wieder aufzuforstenden Waldfläche. Um die exakte Größe des beschädigten Bereichs bestimmen zu können, nutzt CarbonStack hochauflösende Satellitenbilder.

In Schritt zwei wird mithilfe einer prozessbasierten Umweltsimulation bestimmt, welche Baumarten an dem jeweiligen Standort aufgeforstet werden. Ziel ist ein klimaresilienter Mischwald, der möglichst viel Kohlenstoff bindet und der mit den zukünftigen klimatischen Veränderungen gut zurechtkommt. Parallel dazu wird die CO2-Speicherkapazität des Waldes über mehrere Dekaden berechnet. Das Start-up nutzt hierfür als Grundlage Klimamodelle vom Max-Plack-Institut sowie vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

In Schritt drei erfolgt die Aufforstung der Schadflächen. Die von CarbonStack entwickelte Computersoftware simuliert, wie der Wald in den nächsten 30 bis 60 Jahren wächst. Die Software liefert Daten, wie viel Kohlenstoff der Wald speichern wird, welche Höhe die Bäume erreichen und wie viel Kubikmeter Holz heranwächst. Die Software ist dabei in der Lage, jeden einzelnen Baum zu analysieren.

Schritt vier sieht die Zertifizierung der Projektfläche vor. Die angestrebte Speicherleistung wird regelmäßig durch externe Auditoren überprüft und nur nach erfolgreicher Zertifizierung werden Zertifikate ausgeschüttet.

Die Zertifizierung wird von unabhängigen Prüfstellen nach dem sogenannten Verified Carbon Standard (VCS) durchgeführt. Dieser ist ein Standard zur Zertifizierung von CO2-Gutschriften zum Ausgleich von Emissionen. Verwaltet wird der Standard von Verra, einer ­gemeinnützigen Organisation, die Standards in Umwelt- und Sozialmärkten setzt.

Die Organisation ist der weltweit größte Zertifizierer für freiwillige CO2-Kompensationsmaßnahmen. Carbon­Stack muss bei Verra z. B. nachweisen, dass nur durch klimatische Veränderungen geschädigte Waldflächen als Projektflächen herangezogen werden.

„Durch die unabhängige Zertifizierung bekommen unsere Kunden einen rechtssicheren Beleg darüber, wie groß ihr Klimaengagement ist. Das Vorgehen ist konform mit den Vorgaben der ESG-Berichterstattung“, erklärt Winneberger. Der ESG-Report fasst alle Aktivitäten eines Unternehmens zusammen, die sich auf die Umwelt, die Gesellschaft und die eigene Mitarbeiterschaft auswirken.

Den Aufwand stellt CarbonStack dem Kunden, der CO2-Credits aus Aufforstungsprojekten für sich in Anspruch nehmen möchte, in Rechnung. Beratungsleistungen rechnet das Unternehmen zum Beispiel auf Stunden- oder Tagesbasis ab. Weitere Kosten fallen an, wenn Machbarkeitsstudien erstellt werden müssen.

Damit der Kunde sicher davon ausgehen kann, dass er für seine Investition als Gegenleistung in den Pflanzen bzw. Bäumen gebundenes CO2 „geliefert“ bekommt, ist vertraglich festgehalten, dass nach spätestens fünf Jahren eine gesicherte Forstkultur herangewachsen sein muss. Zudem enthält jeder Vertrag Regelungen darüber, was passiert, wenn der Wald abbrennt oder die Bäume durch Stürme umgeknickt werden. Der Verified Carbon Standard sieht hier einen Zertifikate-Puffer vor. Ein Teil der Zertifikate aus den Projekten werden quasi in den Puffer eingezahlt.

Landwirtschaft im Fokus

Die bislang gesammelten Erfahrungen im Rahmen von Aufforstungsprojekten wollen Marie von Veltheim und ihre Kollegen künftig auch im Bereich Landwirtschaft nutzen. „Der Agrarsektor bietet ein hohes CO2-Einsparpotenzial. Vor allem in der Optimierung der Fütterung steckt noch Potenzial“, weiß von Veltheim aus Erfahrung zu be­richten.

Derzeit arbeitet sie an ersten konkreten Projekten und Prozesszertifizierungen. Die Herausforderungen, die auf sie warten, sind groß. „Bei einem Aufforstungsprojekt pflanzt man Bäume, lässt diese 50 oder 60 Jahre wachsen und berechnet das CO2-Speicherpotenzial“, erklärt von Veltheim.

In der Landwirtschaft ist das wegen der vielen Prozessschritte und unterschiedlichen Produktionsverfahren viel komplizierter. Beispiel Mineraldünger: Hier muss die Frage beantwortet werden, wem in der Kette von 1 t CO2-Einsparung welcher Anteil zugerechnet werden darf. Gehört der Erfolg ausschließlich dem Hersteller des Düngers, weil er womöglich auf den Einsatz von fossilen Brennstoffen verzichtet hat? Oder muss das Einsparpotenzial auf den Hersteller, den Düngerhändler und den Landwirt aufgeteilt werden? Schließlich reduziert der Landwirt seinen CO2-Fußabdruck, wenn er „grünen Mineraldünger“ einsetzt. Steht gegebenenfalls auch dem Fleischverarbeiter und dem Lebensmittelhändler ein Anteil zu? „Endgültig beantworten lassen sich die Fragen noch nicht, dazu fehlen Erfahrungswerte und klare Regeln“, betont Marie von Veltheim.

Ein weiteres Problem in der Landwirtschaft sind die im Vergleich zum Wald sehr kurzen Produktionszeitfenster. Wie geht man zum Beispiel damit um, wenn der Landwirt in jedem Mastdurchgang die Futterkomponenten wechselt und anstatt Weizen zum Beispiel Roggen verfüttert?

Zertifizierung wird klarer

Während bei der Bewertung bzw. Berechnung des CO2-Fußabdrucks von einem Kilogramm Schweinefleisch noch viele Fragen offen sind, ist der Weg der Zertifizierung schon klarer. Am Anfang steht die Datenerhebung. Benötigt werden Daten zu den angebauten Feldfrüchten, den Futterkomponenten, dem Haltungsverfahren, den eingesetzten Energieträgern usw.

Danach erfolgt die Datenanalyse. Marie von Veltheim greift dafür auf das Berechnungstool „Opteinics“ zurück. Hierbei handelt es sich um ein Softwareprogramm, das Umweltauswirkungen transparent macht und damit den ökologischen Fußabdruck von Futtermitteln und tierischem Protein verbessern kann. „Im Programm ist zum Beispiel der jeweilige Fußabdruck von Importsojaschrot und von heimischem Sojaschrot hinterlegt. Zudem findet man Daten zu regional angebautem Getreide“, erklärt Marie von Veltheim.

In Schritt drei werden die Reduktionspotenziale mithilfe der Software berechnet. Das Programm zeigt an, wie sich der CO2-Fußabdruck verändert, wenn in der Ration Weizen gegen Roggen oder Erdgas gegen Holzpellets ausgetauscht wird.

Abschließend erfolgt in Schritt vier die Zertifizierung nach zum Beispiel DIN ISO. Künftig könnte es auch eine EU-weite Zertifizierungslösung geben.  „In einem Audit überprüft der Zertifizierer unter anderem, ob der Schweinehalter tatsächlich die angegebenen Futterkomponenten einsetzt“, erklärt Marie von Veltheim das Prozedere.

Momentan arbeitet die Expertin an der Zertifizierung des „6-R-Fütterungskonzeptes“ von KWS. Das Saatzuchtunternehmen will sich von unabhängiger Seite bestätigen lassen, dass sich Anbau und Einsatz von Hybridroggen im Futtertrog lohnen. Hybridroggen verbraucht in der Wachstumsphase weniger Wasser, nutzt den zugeführten Stickstoff effizienter aus und im Stall lassen sich damit gute biologische Leistungen erzielen.

„Der Anbau und Einsatz von Hybridroggen bietet somit CO2-Einsparpotenzial. Ein Landwirt kann das ggf. gewinnbringend bei der Vermarktung nutzen“, betont von Veltheim.

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