Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke kann den Frust vieler Landwirte mit der Berliner Agrarpolitik nachvollziehen. Er verlangt von der Ampel, Länder und Berufsstand besser einzubeziehen.
Kurz vor der Landtagswahl und unmittelbar vor dem Bauerntag in Cottbus wirft Brandenburgs Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke im Interview mit Agra-Europe der Bundesregierung eine abgehobene Agrarpolitik vor. Er fordert sie auf, Länder und Berufsstand stärker einzubeziehen. Der SPD-Politiker will sich weiterhin dafür einzusetzen, die Streichung der Agrardieselerstattung rückgängig zu machen. Beim Bürokratieabbau will er nicht lockerlassen. In der EU-Agrarpolitik will er sich gegen eine weitere Benachteiligung größerer Agrarbetriebe stemmen.
Die Wahrnehmung von Europa muss sich ändern
Herr Ministerpräsident, Bauern lassen sich nicht so leicht unterkriegen, Bauernsöhne auch nicht. Gilt das für Sie auch nach der Europawahl und den Kommunalwahlen am 9. Juni?
Dietmar Woidke: Natürlich macht so ein Ergebnis nachdenklich und auch ein stückweit demütig. Und selbstverständlich fragen wir uns, was wir für Fehler gemacht haben.
Haben Sie schon Antworten gefunden?
Dietmar Woidke: Bezogen auf die Europawahl haben wir es offensichtlich in den letzten Wochen und Monaten, vielleicht sogar Jahren nicht geschafft, die Bedeutung der EU für unser Land, aber auch speziell für unsere ländlichen Räume angemessen darzustellen. Europa gewährt uns seit Jahrzehnten ein stabiles politisches Fundament. Unser Wohlstand, unsere gute Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten hier in Ostdeutschland ist ohne dieses Fundament nicht denkbar. Und dieses Ostdeutschland steht im Vergleich aller EU-Länder im oberen Drittel.
Gilt das auch für die ländlichen Räume?
Dietmar Woidke: Ja. Wenn ich als Bauernsohn auf die ländlichen Räume schaue, dann sehe ich eine wirklich gute Entwicklung, die auch sehr viel mit europäischem Geld zu tun hat. Neben der direkten Förderung der Landwirtschaft gehören dazu so wichtige Programme wie LEADER zur Entwicklung der ländlichen Räume. In einer Zeit, in der wir wieder Krieg in Europa haben, nicht einmal 1.000 Kilometer von hier entfernt, geht es vor allem um wirtschaftliche und gesellschaftliche Sicherheit und Stabilität. Und das ist nur durch politische Stabilität möglich. Das bedingt einander. Auch das ist nicht ausreichend deutlich geworden.
Das Ergebnis der Europawahl hat auch mit der Bundespolitik zu tun. Gerade in den ländlichen Gebieten ist der Frust über die Ampel in Berlin mit Händen zu greifen. Fehlt der Ampel das Gespür für die Belange von ländlichen Räumen und Landwirtschaft?
Dietmar Woidke: Vor fünf Jahren war die SPD Juniorpartner in der Bundesregierung unter Angela Merkel. Das damalige Europawahlergebnis war nicht viel besser. Das führt mich zu der Erkenntnis, dass sich die Wahrnehmung von Europa ändern muss. Das geht aber nur, wenn sich die europäische Politik auf die großen Linien konzentriert, anstatt sich im Klein-Klein zu verlieren. Darunter leidet auch die Landwirtschaft. Zu Ihrer Ampel-Frage: Die Bundespolitik ist gut beraten, sich viel stärker mit den Ländern und den Berufsständen abzustimmen. Die sind nämlich viel dichter dran an den tatsächlichen Problemen und können deswegen auch zu guten Lösungen beitragen.
Sie haben im Winter scharfe Kritik an den Sparbeschlüssen der Bundesregierung zu Lasten der Landwirtschaft geübt und darauf hingewiesen, dass dies die Branche zutiefst verunsichert habe. Zeigt das Wahlergebnis, dass dieser Vertrauensbruch, der da entstanden ist, noch nicht wieder gekittet ist?
Dietmar Woidke: Ob das Wahlergebnis das zeigt, sei dahingestellt. Ich stelle aber fest, dass die Enttäuschung nach wie vor riesengroß ist. Es wäre notwendig gewesen, mit dem landwirtschaftlichen Berufsstand zu sprechen, bevor solche einschneidenden Entscheidungen getroffen wurden.
Es wäre notwendig gewesen, mit dem landwirtschaftlichen Berufsstand zu sprechen, bevor solche einschneidenden Entscheidungen getroffen wurden.
Entscheidungen, deren politische und finanziellen Folgekosten höher sind als das Einsparvolumen. Als Zeichen mangelnden Respekts werte ich, dass man nicht wenigstens hinterher alle an einen Tisch geholt und versucht hat, eine gemeinsame Lösung zu finden. Auch das ist bisher nur unzureichend passiert.
Dietmar Woidke: Mir ist vom hiesigen Landesbauernverband vermittelt worden, dass „die da oben“ sich nicht für sie interessieren und machen, was sie wollen. Das ist eine gefährliche Wahrnehmung in einer Demokratie, während es zugleich immer schwieriger wird, ordentlich zu wirtschaften: Ein Beispiel: Gerade jetzt wird das Düngegesetz verabschiedet, darin ist die Stoffstrom- oder wie es jetzt heißt Nährstoffbilanz verankert. Das ist ein Bürokratiemonster, alle Landwirte müssen zusätzliche Stunden zu Dokumentationszwecken aufbringen - nach einem vollen Arbeitstag - obwohl der Nutzen auch unter Experten sehr umstritten ist. Ich sehe diese Belastungen für die Landwirte sehr kritisch.
Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung waren die Auslöser für die Proteste. Worum ging es im Kern?
Dietmar Woidke: Ich hätte mich sehr gefreut, wenn wir auf der Bundesebene nicht über Kürzungen geredet hätten, sondern einfach mal die Frage gestellt hätten, wie wir uns die Landwirtschaft der Zukunft vorstellen. Wie ist eine möglichst regional basierte, qualitativ hochwertige Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen? Jetzt einfach hinzugehen und zu sagen, es ist kein Geld da, also streichen wir beim Agrardiesel, war auch deshalb falsch, weil der Agrardiesel mit Klimaschutz nichts zu tun hat. Es gibt nämlich auf absehbare Zeit keine verfügbaren Alternativen. Unsere Landwirte stehen im europäischen Wettbewerb. Ich werde mich daher weiterhin dafür einsetzen, die Streichung der Agrardieselerstattung rückgängig zu machen.
Sie haben einen Agrardialog angekündigt, den Sie auf Landesebene führen wollten. Wie weit sind Sie gekommen?
Dietmar Woidke: Sehr weit. Im Ergebnis haben wir in der Landesregierung finanzwirksame Entscheidungen getroffen. Wir verlängern die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete und stellen dafür 25 Mio. Euro im Jahr bereit. Hinzu kommen 5 Mio. Euro für mehrjährige Blühstreifenprogramme. Das sind zusammen 30 Mio. Euro für mehr Planungssicherheit im Agrarbereich.
Bürokratie in der Landwirtschaft ist ein altes Thema, das Sie schon in Ihrer Zeit als Agrarminister beschäftigt hat. Warum sollte diesmal mehr herauskommen als damals?
Dietmar Woidke: In meiner Zeit als Landwirtschafts- und Umweltminister zwischen 2004 und 2009 gab es im Brandenburger Landtag einen Sonderausschuss zum Abbau von Normen und Standards. Allein aus meinem Verwaltungsbereich kamen mehr als 60 % der später gestrichenen Regelungen. Das zeigt, wie reguliert dieser Bereich schon damals war. Das ist heute immer noch so. Wir werden in Brandenburg genau so einen Sonderausschuss wieder einsetzen. Wir werden mit dem Bauernverband, mit den Handwerkskammern, mit den Industrie- und Handelskammern und mit weiteren Wirtschaftsverbänden die Vorschriften auf den Prüfstand stellen, die Unternehmern auf den Nägeln brennen, weil sie nur Arbeit verursachen und unnötig sind. Genau wie 2009 werden wir diese überflüssigen Regeln per Gesetz abschaffen.
Ist Bürokratieabbau Chefsache?
Dietmar Woidke: Ich habe mir den Dialog mit den Bauern zur Chefsache gemacht.
Ich habe mir den Dialog mit den Bauern zur Chefsache gemacht.
Das habe ich versprochen, und das setze ich um. Ich werde gerade beim Thema Bürokratieabbau nicht lockerlassen. Allerdings liegt dazwischen eine Landtagswahl. Die müssen wir erst einmal erfolgreich hinter uns bringen.
Der Deutsche Bauerntag findet nach 25 Jahren wieder in Cottbus statt. Schon damals gab es erheblichen Unmut über die Bundesregierung und den damaligen Bundeskanzler Schröder. Der Anlass waren Einsparungen im Bundeshaushalt. Warum ist das so schwierig mit der SPD im Bund und den Bauern?
Dietmar Woidke: Den behaupteten Grundkonflikt der Landwirtschaft mit der Bundes-SPD sehe ich überhaupt nicht. Die letzten Bundesminister waren beziehungsweise sind von CDU und Grünen. Vielleicht wäre es gut, wenn das Ressort wieder in SPD-Hand käme. Wir in Brandenburg stehen jedenfalls klar an der Seite der Landwirtschaft. Die Subventionsdiskussion gibt es schon lange. Sie wird immer dann geführt, wenn die Haushaltsnot groß ist.
Was ist der größte Unterschied zwischen der brandenburgischen Landwirtschaft heute und der von 1999?
Dietmar Woidke: Die Anforderungen, die an die Betriebe gestellt werden. Landwirte sollen hochwertige Lebensmittel erzeugen, Natur- und Tierschützer sein, Energie produzieren, modernste Technik beherrschen und ihre Leute gut bezahlen. Sie sollen der Öffentlichkeit erklären, was sie tun, im ländlichen Raum eine wichtige soziale Rolle übernehmen und sich aktiv am Dorfleben beteiligen. Noch nie war der Beruf des Landwirts so herausfordernd wie heute. Ich halte die gesellschaftlichen Erwartungen für nachvollziehbar, aber wir dürfen sie auch nicht zu hoch schrauben. Erfüllt werden können sie aber größtenteils nur, wenn diese Leistungen honoriert werden. Sonst rechnet sich das nicht für den einzelnen Betrieb.
Die ostdeutsche Landwirtschaft hat sich trotz vieler Schwierigkeiten gut entwickelt.
Die Zukunft der im Vergleich zum Westen größer strukturierten Landwirtschaft war 1999 unsicher. Ist das die größte Leistung, dass sich die Betriebe stabil entwickelt haben?
Dietmar Woidke: Ja. Die ostdeutsche Landwirtschaft hat sich trotz vieler Schwierigkeiten gut entwickelt. Die Betriebe sind stabile Arbeitgeber und Ausbildungsbetriebe. Ich sage das auch deshalb, weil in den neunziger Jahren viele Menschen die Landwirtschaft verlassen mussten. Trotz allem war die Landwirtschaft immer ein starker Wirtschaftsfaktor. Für mich steht fest, die Landwirtschaft ist für die ländlichen Räume Herz und Rückgrat. Aber es braucht auch für die Zukunft weitere Investitionen. Das muss Politik ermöglichen.
Ein Thema für die Betriebe sind Arbeitskräfte. Unterstützen Sie den Vorstoß des Bundeskanzlers für einen gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro?
Dietmar Woidke: Klar ist, die Betriebe kriegen keine Arbeitskräfte, wenn sie denen sagen, dass sie 12,50 Euro verdienen. Viele Landwirtschaftsbetriebe, die ich kenne, stoßen auf großes Interesse, auch von jungen Menschen und nicht nur aus dem ländlichen Raum. Landwirtschaft ist heute Hochtechnologie. Das hat sich rumgesprochen und macht neugierig. Zum derzeitigen Mindestlohn bekommt man keine qualifizierten und motivierten Menschen.
Was halten Sie von einem Staatsziel Ernährungssicherheit, wie es die CDU in ihrem neuen Grundsatzprogramm fordert?
Dietmar Woidke: Nahrungsmittelproduktion ist systemrelevant für jede und jeden - keine Frage.
Nahrungsmittelproduktion ist systemrelevant für jede und jeden.
Wir haben in Deutschland immer noch hervorragende Voraussetzungen für die landwirtschaftliche Produktion. Die sollten wir nutzen. Selbstverständlich sind die Anforderungen an Natur- und Umweltschutz sowie an Klimaschutz zu beachten. Aber das Maß muss stimmen. Ob ein Staatsziel hilfreich sein kann, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden, müsste sorgfältig geprüft werden. Ich bin da offen.
Der Boden ist seit der Wende ein bestimmendes Thema in Ostdeutschland. Sie haben die Initiative Ihres Landwirtschaftsministers für ein Agrarstrukturgesetz letztlich nicht unterstützt, obwohl es im Koalitionsvertrag steht. Bleibt das Thema auf der Tagesordnung?
Dietmar Woidke: Ja. Eine Regulierung des Bodenmarkts ist weiterhin ein wichtiges Thema, mit dem man sich befassen muss. Aber es nützt auch nichts, einen Gesetzesvorschlag zu machen, der nicht umsetzbar ist. Es gibt eine ganze Reihe von verfassungsrechtlichen Fragen, die man vorher klären sollte, bevor man weiter diskutiert. Ich nenne nur die Themen „Vertragsfreiheit“ und den Gleichbehandlungsgrundsatz, der auch im europäischen Recht eine wichtige Rolle spielt. Wir wollen nicht, dass der Boden zum Spekulationsobjekt wird, sondern in der Hand der heimischen, regional wirtschaftenden Landwirte bleibt. Das rechtlich sauber hinzubekommen, ist eine wichtige Aufgabe für die nächste Wahlperiode.
In den kommenden Jahren wird auch die Diskussion um die nächste EU-Agrarreform Fahrt aufnehmen. Schon heute werden Forderungen lauter, die Mittel stärker auf kleine und mittlere Betriebe zu konzentrieren. Besorgt Sie das?
Dietmar Woidke: Der Grundsatz „Ein Hektar ist ein Hektar“ darf in der Agrarförderung nicht noch weiter unterlaufen werden.
Der Grundsatz „Ein Hektar ist ein Hektar“ darf in der Agrarförderung nicht noch weiter unterlaufen werden.
Eine Gleichbehandlung der Betriebe unabhängig von der Betriebsgröße war immer ein wichtiger Grundsatz der Gemeinsamen Agrarpolitik, auch wenn er nicht mehr durchgehend eingehalten wird. Eine weitere Benachteiligung größerer Betriebe darf es nicht geben.
Kernforderungen bei den Bauernprotesten waren politische Verlässlichkeit und kalkulierbare Rahmenbedingungen. Kann Politik das leisten, die in Legislaturperioden denkt?
Dietmar Woidke: Klar. Politik muss für lange Linien stehen und die durchhalten. Wenn wir an die großen Themen der Zeit denken, Klimaschutz, Biodiversität, Transformation der Wirtschaft, die sind nicht in vier oder fünf Jahren zu lösen. Das Gleiche gilt für die Landwirtschaft. Landwirtschaft denkt nicht in Jahren, sondern in Generationen. Dafür den Rahmen zu setzen, ist eine Aufgabe von Politik.
Zwei Kommissionen wurden eingesetzt, um dafür Vorschläge zu machen, die Borchert Kommission und die Zukunftskommission Landwirtschaft. Warum tut sich Politik so schwer damit?
Dietmar Woidke: Kommissionsberichte können niemals eins zu eins in Politik umgesetzt werden. Das vorweggeschickt finde ich es schon sehr bedauerlich, dass die Bundesregierung sich die Berichte nicht zu eigen macht. Beide Kommissionen zeigen auf, wie die Weichen gestellt werden könnten, damit die Landwirtschaft anstehende Transformation bewältigen kann. Noch ist es nicht zu spät, sich ernstafter mit den Ergebnissen der Kommissionen auseinanderzusetzen. Ich habe das bereits mehrfach gefordert und fordere dazu einen strukturierten Umsetzungsprozess.
Welche Botschaften werden Sie beim Bauerntag setzen?
Dietmar Woidke: Die erste Botschaft ist Dank an die Landwirtinnen und Landwirte für das, was sie jeden Tag für unser Land, aber auch für jeden Einzelnen von uns jeden leisten. Und ich fordere Respekt dafür von der Gesellschaft. Daraus ergibt sich zum zweiten die politische Verpflichtung, für gute und verlässliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Wir in Brandenburg bekennen uns dazu. Schließlich ist mir wichtig zu sagen, dass ich mir ländliche Räume ohne gut funktionierende landwirtschaftliche Betriebe nicht vorstellen kann und auch nicht vorstellen will. Das gilt für Brandenburg in besonderer Weise.
Bleibt Landwirtschaft ein Herzensthema für Dietmar Woidke?
Dietmar Woidke: Auf jeden Fall.
Was lässt Sie hoffen, dass Sie das Blatt bei der Landtagswahl wieder so wenden können, wie nach der Europawahl 2019?
Dietmar Woidke: Ich bin viel im Land unterwegs und erlebe großen Zuspruch. Ich glaube, die meisten Menschen in Brandenburg wollen das Land, die ländlichen Räume und die Landwirtschaft weiterhin in guten Händen wissen. Das stimmt mich optimistisch.
Vielen Dank für das Gespräch.
Kurz vor der Landtagswahl und unmittelbar vor dem Bauerntag in Cottbus wirft Brandenburgs Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke im Interview mit Agra-Europe der Bundesregierung eine abgehobene Agrarpolitik vor. Er fordert sie auf, Länder und Berufsstand stärker einzubeziehen. Der SPD-Politiker will sich weiterhin dafür einzusetzen, die Streichung der Agrardieselerstattung rückgängig zu machen. Beim Bürokratieabbau will er nicht lockerlassen. In der EU-Agrarpolitik will er sich gegen eine weitere Benachteiligung größerer Agrarbetriebe stemmen.
Die Wahrnehmung von Europa muss sich ändern
Herr Ministerpräsident, Bauern lassen sich nicht so leicht unterkriegen, Bauernsöhne auch nicht. Gilt das für Sie auch nach der Europawahl und den Kommunalwahlen am 9. Juni?
Dietmar Woidke: Natürlich macht so ein Ergebnis nachdenklich und auch ein stückweit demütig. Und selbstverständlich fragen wir uns, was wir für Fehler gemacht haben.
Haben Sie schon Antworten gefunden?
Dietmar Woidke: Bezogen auf die Europawahl haben wir es offensichtlich in den letzten Wochen und Monaten, vielleicht sogar Jahren nicht geschafft, die Bedeutung der EU für unser Land, aber auch speziell für unsere ländlichen Räume angemessen darzustellen. Europa gewährt uns seit Jahrzehnten ein stabiles politisches Fundament. Unser Wohlstand, unsere gute Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten hier in Ostdeutschland ist ohne dieses Fundament nicht denkbar. Und dieses Ostdeutschland steht im Vergleich aller EU-Länder im oberen Drittel.
Gilt das auch für die ländlichen Räume?
Dietmar Woidke: Ja. Wenn ich als Bauernsohn auf die ländlichen Räume schaue, dann sehe ich eine wirklich gute Entwicklung, die auch sehr viel mit europäischem Geld zu tun hat. Neben der direkten Förderung der Landwirtschaft gehören dazu so wichtige Programme wie LEADER zur Entwicklung der ländlichen Räume. In einer Zeit, in der wir wieder Krieg in Europa haben, nicht einmal 1.000 Kilometer von hier entfernt, geht es vor allem um wirtschaftliche und gesellschaftliche Sicherheit und Stabilität. Und das ist nur durch politische Stabilität möglich. Das bedingt einander. Auch das ist nicht ausreichend deutlich geworden.
Das Ergebnis der Europawahl hat auch mit der Bundespolitik zu tun. Gerade in den ländlichen Gebieten ist der Frust über die Ampel in Berlin mit Händen zu greifen. Fehlt der Ampel das Gespür für die Belange von ländlichen Räumen und Landwirtschaft?
Dietmar Woidke: Vor fünf Jahren war die SPD Juniorpartner in der Bundesregierung unter Angela Merkel. Das damalige Europawahlergebnis war nicht viel besser. Das führt mich zu der Erkenntnis, dass sich die Wahrnehmung von Europa ändern muss. Das geht aber nur, wenn sich die europäische Politik auf die großen Linien konzentriert, anstatt sich im Klein-Klein zu verlieren. Darunter leidet auch die Landwirtschaft. Zu Ihrer Ampel-Frage: Die Bundespolitik ist gut beraten, sich viel stärker mit den Ländern und den Berufsständen abzustimmen. Die sind nämlich viel dichter dran an den tatsächlichen Problemen und können deswegen auch zu guten Lösungen beitragen.
Sie haben im Winter scharfe Kritik an den Sparbeschlüssen der Bundesregierung zu Lasten der Landwirtschaft geübt und darauf hingewiesen, dass dies die Branche zutiefst verunsichert habe. Zeigt das Wahlergebnis, dass dieser Vertrauensbruch, der da entstanden ist, noch nicht wieder gekittet ist?
Dietmar Woidke: Ob das Wahlergebnis das zeigt, sei dahingestellt. Ich stelle aber fest, dass die Enttäuschung nach wie vor riesengroß ist. Es wäre notwendig gewesen, mit dem landwirtschaftlichen Berufsstand zu sprechen, bevor solche einschneidenden Entscheidungen getroffen wurden.
Es wäre notwendig gewesen, mit dem landwirtschaftlichen Berufsstand zu sprechen, bevor solche einschneidenden Entscheidungen getroffen wurden.
Entscheidungen, deren politische und finanziellen Folgekosten höher sind als das Einsparvolumen. Als Zeichen mangelnden Respekts werte ich, dass man nicht wenigstens hinterher alle an einen Tisch geholt und versucht hat, eine gemeinsame Lösung zu finden. Auch das ist bisher nur unzureichend passiert.
Dietmar Woidke: Mir ist vom hiesigen Landesbauernverband vermittelt worden, dass „die da oben“ sich nicht für sie interessieren und machen, was sie wollen. Das ist eine gefährliche Wahrnehmung in einer Demokratie, während es zugleich immer schwieriger wird, ordentlich zu wirtschaften: Ein Beispiel: Gerade jetzt wird das Düngegesetz verabschiedet, darin ist die Stoffstrom- oder wie es jetzt heißt Nährstoffbilanz verankert. Das ist ein Bürokratiemonster, alle Landwirte müssen zusätzliche Stunden zu Dokumentationszwecken aufbringen - nach einem vollen Arbeitstag - obwohl der Nutzen auch unter Experten sehr umstritten ist. Ich sehe diese Belastungen für die Landwirte sehr kritisch.
Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung waren die Auslöser für die Proteste. Worum ging es im Kern?
Dietmar Woidke: Ich hätte mich sehr gefreut, wenn wir auf der Bundesebene nicht über Kürzungen geredet hätten, sondern einfach mal die Frage gestellt hätten, wie wir uns die Landwirtschaft der Zukunft vorstellen. Wie ist eine möglichst regional basierte, qualitativ hochwertige Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen? Jetzt einfach hinzugehen und zu sagen, es ist kein Geld da, also streichen wir beim Agrardiesel, war auch deshalb falsch, weil der Agrardiesel mit Klimaschutz nichts zu tun hat. Es gibt nämlich auf absehbare Zeit keine verfügbaren Alternativen. Unsere Landwirte stehen im europäischen Wettbewerb. Ich werde mich daher weiterhin dafür einsetzen, die Streichung der Agrardieselerstattung rückgängig zu machen.
Sie haben einen Agrardialog angekündigt, den Sie auf Landesebene führen wollten. Wie weit sind Sie gekommen?
Dietmar Woidke: Sehr weit. Im Ergebnis haben wir in der Landesregierung finanzwirksame Entscheidungen getroffen. Wir verlängern die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete und stellen dafür 25 Mio. Euro im Jahr bereit. Hinzu kommen 5 Mio. Euro für mehrjährige Blühstreifenprogramme. Das sind zusammen 30 Mio. Euro für mehr Planungssicherheit im Agrarbereich.
Bürokratie in der Landwirtschaft ist ein altes Thema, das Sie schon in Ihrer Zeit als Agrarminister beschäftigt hat. Warum sollte diesmal mehr herauskommen als damals?
Dietmar Woidke: In meiner Zeit als Landwirtschafts- und Umweltminister zwischen 2004 und 2009 gab es im Brandenburger Landtag einen Sonderausschuss zum Abbau von Normen und Standards. Allein aus meinem Verwaltungsbereich kamen mehr als 60 % der später gestrichenen Regelungen. Das zeigt, wie reguliert dieser Bereich schon damals war. Das ist heute immer noch so. Wir werden in Brandenburg genau so einen Sonderausschuss wieder einsetzen. Wir werden mit dem Bauernverband, mit den Handwerkskammern, mit den Industrie- und Handelskammern und mit weiteren Wirtschaftsverbänden die Vorschriften auf den Prüfstand stellen, die Unternehmern auf den Nägeln brennen, weil sie nur Arbeit verursachen und unnötig sind. Genau wie 2009 werden wir diese überflüssigen Regeln per Gesetz abschaffen.
Ist Bürokratieabbau Chefsache?
Dietmar Woidke: Ich habe mir den Dialog mit den Bauern zur Chefsache gemacht.
Ich habe mir den Dialog mit den Bauern zur Chefsache gemacht.
Das habe ich versprochen, und das setze ich um. Ich werde gerade beim Thema Bürokratieabbau nicht lockerlassen. Allerdings liegt dazwischen eine Landtagswahl. Die müssen wir erst einmal erfolgreich hinter uns bringen.
Der Deutsche Bauerntag findet nach 25 Jahren wieder in Cottbus statt. Schon damals gab es erheblichen Unmut über die Bundesregierung und den damaligen Bundeskanzler Schröder. Der Anlass waren Einsparungen im Bundeshaushalt. Warum ist das so schwierig mit der SPD im Bund und den Bauern?
Dietmar Woidke: Den behaupteten Grundkonflikt der Landwirtschaft mit der Bundes-SPD sehe ich überhaupt nicht. Die letzten Bundesminister waren beziehungsweise sind von CDU und Grünen. Vielleicht wäre es gut, wenn das Ressort wieder in SPD-Hand käme. Wir in Brandenburg stehen jedenfalls klar an der Seite der Landwirtschaft. Die Subventionsdiskussion gibt es schon lange. Sie wird immer dann geführt, wenn die Haushaltsnot groß ist.
Was ist der größte Unterschied zwischen der brandenburgischen Landwirtschaft heute und der von 1999?
Dietmar Woidke: Die Anforderungen, die an die Betriebe gestellt werden. Landwirte sollen hochwertige Lebensmittel erzeugen, Natur- und Tierschützer sein, Energie produzieren, modernste Technik beherrschen und ihre Leute gut bezahlen. Sie sollen der Öffentlichkeit erklären, was sie tun, im ländlichen Raum eine wichtige soziale Rolle übernehmen und sich aktiv am Dorfleben beteiligen. Noch nie war der Beruf des Landwirts so herausfordernd wie heute. Ich halte die gesellschaftlichen Erwartungen für nachvollziehbar, aber wir dürfen sie auch nicht zu hoch schrauben. Erfüllt werden können sie aber größtenteils nur, wenn diese Leistungen honoriert werden. Sonst rechnet sich das nicht für den einzelnen Betrieb.
Die ostdeutsche Landwirtschaft hat sich trotz vieler Schwierigkeiten gut entwickelt.
Die Zukunft der im Vergleich zum Westen größer strukturierten Landwirtschaft war 1999 unsicher. Ist das die größte Leistung, dass sich die Betriebe stabil entwickelt haben?
Dietmar Woidke: Ja. Die ostdeutsche Landwirtschaft hat sich trotz vieler Schwierigkeiten gut entwickelt. Die Betriebe sind stabile Arbeitgeber und Ausbildungsbetriebe. Ich sage das auch deshalb, weil in den neunziger Jahren viele Menschen die Landwirtschaft verlassen mussten. Trotz allem war die Landwirtschaft immer ein starker Wirtschaftsfaktor. Für mich steht fest, die Landwirtschaft ist für die ländlichen Räume Herz und Rückgrat. Aber es braucht auch für die Zukunft weitere Investitionen. Das muss Politik ermöglichen.
Ein Thema für die Betriebe sind Arbeitskräfte. Unterstützen Sie den Vorstoß des Bundeskanzlers für einen gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro?
Dietmar Woidke: Klar ist, die Betriebe kriegen keine Arbeitskräfte, wenn sie denen sagen, dass sie 12,50 Euro verdienen. Viele Landwirtschaftsbetriebe, die ich kenne, stoßen auf großes Interesse, auch von jungen Menschen und nicht nur aus dem ländlichen Raum. Landwirtschaft ist heute Hochtechnologie. Das hat sich rumgesprochen und macht neugierig. Zum derzeitigen Mindestlohn bekommt man keine qualifizierten und motivierten Menschen.
Was halten Sie von einem Staatsziel Ernährungssicherheit, wie es die CDU in ihrem neuen Grundsatzprogramm fordert?
Dietmar Woidke: Nahrungsmittelproduktion ist systemrelevant für jede und jeden - keine Frage.
Nahrungsmittelproduktion ist systemrelevant für jede und jeden.
Wir haben in Deutschland immer noch hervorragende Voraussetzungen für die landwirtschaftliche Produktion. Die sollten wir nutzen. Selbstverständlich sind die Anforderungen an Natur- und Umweltschutz sowie an Klimaschutz zu beachten. Aber das Maß muss stimmen. Ob ein Staatsziel hilfreich sein kann, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden, müsste sorgfältig geprüft werden. Ich bin da offen.
Der Boden ist seit der Wende ein bestimmendes Thema in Ostdeutschland. Sie haben die Initiative Ihres Landwirtschaftsministers für ein Agrarstrukturgesetz letztlich nicht unterstützt, obwohl es im Koalitionsvertrag steht. Bleibt das Thema auf der Tagesordnung?
Dietmar Woidke: Ja. Eine Regulierung des Bodenmarkts ist weiterhin ein wichtiges Thema, mit dem man sich befassen muss. Aber es nützt auch nichts, einen Gesetzesvorschlag zu machen, der nicht umsetzbar ist. Es gibt eine ganze Reihe von verfassungsrechtlichen Fragen, die man vorher klären sollte, bevor man weiter diskutiert. Ich nenne nur die Themen „Vertragsfreiheit“ und den Gleichbehandlungsgrundsatz, der auch im europäischen Recht eine wichtige Rolle spielt. Wir wollen nicht, dass der Boden zum Spekulationsobjekt wird, sondern in der Hand der heimischen, regional wirtschaftenden Landwirte bleibt. Das rechtlich sauber hinzubekommen, ist eine wichtige Aufgabe für die nächste Wahlperiode.
In den kommenden Jahren wird auch die Diskussion um die nächste EU-Agrarreform Fahrt aufnehmen. Schon heute werden Forderungen lauter, die Mittel stärker auf kleine und mittlere Betriebe zu konzentrieren. Besorgt Sie das?
Dietmar Woidke: Der Grundsatz „Ein Hektar ist ein Hektar“ darf in der Agrarförderung nicht noch weiter unterlaufen werden.
Der Grundsatz „Ein Hektar ist ein Hektar“ darf in der Agrarförderung nicht noch weiter unterlaufen werden.
Eine Gleichbehandlung der Betriebe unabhängig von der Betriebsgröße war immer ein wichtiger Grundsatz der Gemeinsamen Agrarpolitik, auch wenn er nicht mehr durchgehend eingehalten wird. Eine weitere Benachteiligung größerer Betriebe darf es nicht geben.
Kernforderungen bei den Bauernprotesten waren politische Verlässlichkeit und kalkulierbare Rahmenbedingungen. Kann Politik das leisten, die in Legislaturperioden denkt?
Dietmar Woidke: Klar. Politik muss für lange Linien stehen und die durchhalten. Wenn wir an die großen Themen der Zeit denken, Klimaschutz, Biodiversität, Transformation der Wirtschaft, die sind nicht in vier oder fünf Jahren zu lösen. Das Gleiche gilt für die Landwirtschaft. Landwirtschaft denkt nicht in Jahren, sondern in Generationen. Dafür den Rahmen zu setzen, ist eine Aufgabe von Politik.
Zwei Kommissionen wurden eingesetzt, um dafür Vorschläge zu machen, die Borchert Kommission und die Zukunftskommission Landwirtschaft. Warum tut sich Politik so schwer damit?
Dietmar Woidke: Kommissionsberichte können niemals eins zu eins in Politik umgesetzt werden. Das vorweggeschickt finde ich es schon sehr bedauerlich, dass die Bundesregierung sich die Berichte nicht zu eigen macht. Beide Kommissionen zeigen auf, wie die Weichen gestellt werden könnten, damit die Landwirtschaft anstehende Transformation bewältigen kann. Noch ist es nicht zu spät, sich ernstafter mit den Ergebnissen der Kommissionen auseinanderzusetzen. Ich habe das bereits mehrfach gefordert und fordere dazu einen strukturierten Umsetzungsprozess.
Welche Botschaften werden Sie beim Bauerntag setzen?
Dietmar Woidke: Die erste Botschaft ist Dank an die Landwirtinnen und Landwirte für das, was sie jeden Tag für unser Land, aber auch für jeden Einzelnen von uns jeden leisten. Und ich fordere Respekt dafür von der Gesellschaft. Daraus ergibt sich zum zweiten die politische Verpflichtung, für gute und verlässliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Wir in Brandenburg bekennen uns dazu. Schließlich ist mir wichtig zu sagen, dass ich mir ländliche Räume ohne gut funktionierende landwirtschaftliche Betriebe nicht vorstellen kann und auch nicht vorstellen will. Das gilt für Brandenburg in besonderer Weise.
Bleibt Landwirtschaft ein Herzensthema für Dietmar Woidke?
Dietmar Woidke: Auf jeden Fall.
Was lässt Sie hoffen, dass Sie das Blatt bei der Landtagswahl wieder so wenden können, wie nach der Europawahl 2019?
Dietmar Woidke: Ich bin viel im Land unterwegs und erlebe großen Zuspruch. Ich glaube, die meisten Menschen in Brandenburg wollen das Land, die ländlichen Räume und die Landwirtschaft weiterhin in guten Händen wissen. Das stimmt mich optimistisch.
Vielen Dank für das Gespräch.