Rund 450 Millionen EU-Bürger sollen bis Sonntag ein neues EU-Parlament wählen. Was heißt das und was steht für die Landwirtschaft bei GAP, GLÖZ und Green Deal auf dem Spiel?
Nur noch wenige Tage bis zur Europawahl 2024. Und die ist für Landwirte in Deutschland und der Europäischen Union entscheidend. Denn die sind wie kaum eine andere Berufsgruppe von den politischen Entscheidungen der EU betroffen.
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Die Agrarpolitik ist zwar offiziell eine der sogenannten „geteilten Zuständigkeiten“. Durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) kommen jedoch der agrarpolitische Rahmen und die Subventionen direkt aus Brüssel. Die vergangene Legislatur hat gezeigt: Auch die EU-Umweltpolitik hat großen Einfluss auf die Landwirtschaft in der EU.
Wer wird gewählt?
Die deutschen Bürgerinnen und Bürger können am Sonntag 96 der 720 Mitglieder des Europäischen Parlamentes wählen. Deutschland stellt unter den 27 Mitgliedstaat die meisten Abgeordneten. Am Wahlabend gilt daher in Deutschland die Faustregel: Knapp 1,1 Prozentpunkte bedeuten einen Abgeordneten für die jeweilige Partei. Eine 5%-Hürde gibt es nicht.
Und wer nicht?
Die Präsidentin der Europäischen Kommission wählt man bei der Europawahl nicht direkt. Ursula von der Leyen (CDU) hat das Amt momentan inne und möchte fünf weitere Jahre an der Spitze von Europas wichtigster Behörde stehen. Sie ist zwar die „Spitzenkandidatin“ der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören.
Doch sie braucht nach der Wahl zunächst den Segen der EU-Mitgliedstaaten. Erst danach stimmt das Europaparlament, das am Sonntag zur Wahl steht, über die Personalie ab. Die Abgeordneten können für oder gegen den Kandidaten der Mitgliedstaaten stimmen, haben aber kein eigenes Vorschlagsrecht.
Unklar ist, ob Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von der Leyen im Kreise der Mitgliedstaaten unterstützt. Scholz deutete an, dass er sie nur dann unterstützt, wenn im EU-Parlament eine Mehrheit ohne Rechtsextreme für von der Leyen stimmt. Das hieße jedoch, dass auch Sozialisten und Grüne für von der Leyen stimmen müssten, was aktuell nicht als ausgemacht gilt.
Die EU gibt es nicht
Allein der Vorgang zur Wahl des Kommissionspräsidenten zeigt: Die EU gibt es nicht. Mindestens muss man nämlich zwischen der EU-Kommission, dem Rat der 27 Mitgliedstaaten und dem Europaparlament unterscheiden. Zur Wahl steht letzteres. Kritiker würden sagen, die unwichtigste der drei Institutionen.
Denn das EU-Parlament besitzt kein Initiativrecht, kann also keine Gesetze vorschlagen. Das kann nur die EU-Kommission. In der Außen- und Sicherheitspolitik entscheiden die Mitgliedstaaten, nicht das Parlament. In der Bevölkerung genießt das EU-Parlament nicht unbedingt den besten Ruf. Vor allem das monatliche Pendeln zwischen Brüssel und Straßburg gilt als absurde Eigenheit des EU-Apparates.
Das kann das EU-Parlament
Doch auch wenn die Abgeordneten keine eigenen Gesetze vorschlagen und bei der Besetzung von Spitzenpersonal z. B. den EU-Kommissaren kaum mitreden können, können sie fast überall mitbestimmen.
Keine EU-Verordnung oder -Richtlinie, wie die Gesetze in Brüssel heißen, tritt ohne den Segen des Parlamentes in Kraft. Das Ende der umstrittenen EU-Pflanzenschutzverordnung (SUR) hat das Parlament durch seine Abstimmung im November 2023 besiegelt.
Die großen Linien, den Rahmen setzen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission leitet daraus Gesetzesvorschläge ab. Doch bevor die in Kraft treten, kommen immer das Parlament und seine Fachpolitiker in den Ausschüssen ins Spiel. Und dort geht es oft um Details.
Während weltweiter Krisen mag es nebensächlich wirken, ob Landwirte 3, 4 oder 5 % ihrer Flächen stilllegen sollen. Für ebenjene sind die Auswirkungen jedoch enorm. Und an diesen Details arbeiten auch die EU-Parlamentarier.
Großprojekt GAP
Genau um solche Feinheiten dürfte es auch bei der kommenden Reform der GAP gehen – das agrarpolitische Großprojekt der kommenden Legislaturperiode von 2024 bis 2029. Die neue GAP soll 2027 in Kraft treten.
Die aktuelle GAP kann man getrost als gescheitert ansehen. Landwirte konnten sich nie mit Fruchtwechsel oder Stilllegung anfreunden. Für Umweltschützer gehört die GAP vom Kopf auf die Füße gestellt und die Agrarzahlungen an konkrete Umweltleistungen geknüpft. Durch die bis 2027 verabschiedeten Lockerungen unterscheidet sich die aktuelle GAP kaum noch von der in den Vorjahren.
In welche Richtung sich die GAP nach 2027 entwickelt, dürfte stark vom Wahlergebnis der EU-Wahl abhängen. Ja, auch bei der GAP wird die EU-Kommission den ersten Aufschlag machen. Doch im Parlament wird es einen Unterschied machen, ob die Bewahrer der Direktzahlungen in der Mehrheit sind oder diejenigen, die die GAP umkrempeln möchten.
Green Deal am Ende?
Nächstes Fragezeichen ist der Green Deal: Die Pflanzenschutzverordnung (SUR) ist zurück in der Kiste, aus der sie kam. Weder das Naturwiederherstellungsgesetz noch die Pläne für die neuen Züchtungstechniken haben es vor der Wahl über die Ziellinie geschafft.
Nach der Wahl wollen CDU und CSU den Green Deal „wirtschaftsfreundlich weiterentwickeln“, die FDP fordert eine „Regulierungspause“. Die Sozialdemokraten wollen den Green Deal in seiner jetzigen Form weiterführen und sehen ihn sogar als den Leitfaden für die Agrarpolitik.
Noch drastischer als der Green Deal könnte ein EU-Beitritt der Ukraine die Agrarpolitik der EU verändern. Der würde die EU-Agrarfläche um ein Viertel ansteigen lassen und das Budget der jetzigen GAP sprengen.
Doch ob die Ukraine noch in dieser Legislatur vollwertiges EU-Mitglied wird, ist offen. Zwar bekennen sich CDU und CSU, die Grünen, die SPD und auch die FDP zum EU-Beitritt der Ukraine.
Jedoch ist ein solcher Schritt für die Parteien nur dann möglich, wenn die Ukraine alle Beitrittskriterien erfüllt. Bei Korruption und Rechtsstaatlichkeit wollen sie kein Auge zudrücken. Sowohl die AfD als auch die Linke erwähnen die Ukraine in ihren Programmen mit keinem Wort. Das Bündnis Sahra Wagenknecht fordert den Aufschub der Beitrittsverhandlungen.
Wahlcheck Europawahl
Wie stehen die Parteien zu Gentechnik, GAP oder Green Deal? Wir haben für Sie die Positionen der Parteien zu den wichtigsten agrarpolitischen Themen zusammengefasst. top agrar-Abonneneten können den Wahlcheck kostenfrei als PDF downloaden.
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Nur noch wenige Tage bis zur Europawahl 2024. Und die ist für Landwirte in Deutschland und der Europäischen Union entscheidend. Denn die sind wie kaum eine andere Berufsgruppe von den politischen Entscheidungen der EU betroffen.
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Die Agrarpolitik ist zwar offiziell eine der sogenannten „geteilten Zuständigkeiten“. Durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) kommen jedoch der agrarpolitische Rahmen und die Subventionen direkt aus Brüssel. Die vergangene Legislatur hat gezeigt: Auch die EU-Umweltpolitik hat großen Einfluss auf die Landwirtschaft in der EU.
Wer wird gewählt?
Die deutschen Bürgerinnen und Bürger können am Sonntag 96 der 720 Mitglieder des Europäischen Parlamentes wählen. Deutschland stellt unter den 27 Mitgliedstaat die meisten Abgeordneten. Am Wahlabend gilt daher in Deutschland die Faustregel: Knapp 1,1 Prozentpunkte bedeuten einen Abgeordneten für die jeweilige Partei. Eine 5%-Hürde gibt es nicht.
Und wer nicht?
Die Präsidentin der Europäischen Kommission wählt man bei der Europawahl nicht direkt. Ursula von der Leyen (CDU) hat das Amt momentan inne und möchte fünf weitere Jahre an der Spitze von Europas wichtigster Behörde stehen. Sie ist zwar die „Spitzenkandidatin“ der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören.
Doch sie braucht nach der Wahl zunächst den Segen der EU-Mitgliedstaaten. Erst danach stimmt das Europaparlament, das am Sonntag zur Wahl steht, über die Personalie ab. Die Abgeordneten können für oder gegen den Kandidaten der Mitgliedstaaten stimmen, haben aber kein eigenes Vorschlagsrecht.
Unklar ist, ob Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von der Leyen im Kreise der Mitgliedstaaten unterstützt. Scholz deutete an, dass er sie nur dann unterstützt, wenn im EU-Parlament eine Mehrheit ohne Rechtsextreme für von der Leyen stimmt. Das hieße jedoch, dass auch Sozialisten und Grüne für von der Leyen stimmen müssten, was aktuell nicht als ausgemacht gilt.
Die EU gibt es nicht
Allein der Vorgang zur Wahl des Kommissionspräsidenten zeigt: Die EU gibt es nicht. Mindestens muss man nämlich zwischen der EU-Kommission, dem Rat der 27 Mitgliedstaaten und dem Europaparlament unterscheiden. Zur Wahl steht letzteres. Kritiker würden sagen, die unwichtigste der drei Institutionen.
Denn das EU-Parlament besitzt kein Initiativrecht, kann also keine Gesetze vorschlagen. Das kann nur die EU-Kommission. In der Außen- und Sicherheitspolitik entscheiden die Mitgliedstaaten, nicht das Parlament. In der Bevölkerung genießt das EU-Parlament nicht unbedingt den besten Ruf. Vor allem das monatliche Pendeln zwischen Brüssel und Straßburg gilt als absurde Eigenheit des EU-Apparates.
Das kann das EU-Parlament
Doch auch wenn die Abgeordneten keine eigenen Gesetze vorschlagen und bei der Besetzung von Spitzenpersonal z. B. den EU-Kommissaren kaum mitreden können, können sie fast überall mitbestimmen.
Keine EU-Verordnung oder -Richtlinie, wie die Gesetze in Brüssel heißen, tritt ohne den Segen des Parlamentes in Kraft. Das Ende der umstrittenen EU-Pflanzenschutzverordnung (SUR) hat das Parlament durch seine Abstimmung im November 2023 besiegelt.
Die großen Linien, den Rahmen setzen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission leitet daraus Gesetzesvorschläge ab. Doch bevor die in Kraft treten, kommen immer das Parlament und seine Fachpolitiker in den Ausschüssen ins Spiel. Und dort geht es oft um Details.
Während weltweiter Krisen mag es nebensächlich wirken, ob Landwirte 3, 4 oder 5 % ihrer Flächen stilllegen sollen. Für ebenjene sind die Auswirkungen jedoch enorm. Und an diesen Details arbeiten auch die EU-Parlamentarier.
Großprojekt GAP
Genau um solche Feinheiten dürfte es auch bei der kommenden Reform der GAP gehen – das agrarpolitische Großprojekt der kommenden Legislaturperiode von 2024 bis 2029. Die neue GAP soll 2027 in Kraft treten.
Die aktuelle GAP kann man getrost als gescheitert ansehen. Landwirte konnten sich nie mit Fruchtwechsel oder Stilllegung anfreunden. Für Umweltschützer gehört die GAP vom Kopf auf die Füße gestellt und die Agrarzahlungen an konkrete Umweltleistungen geknüpft. Durch die bis 2027 verabschiedeten Lockerungen unterscheidet sich die aktuelle GAP kaum noch von der in den Vorjahren.
In welche Richtung sich die GAP nach 2027 entwickelt, dürfte stark vom Wahlergebnis der EU-Wahl abhängen. Ja, auch bei der GAP wird die EU-Kommission den ersten Aufschlag machen. Doch im Parlament wird es einen Unterschied machen, ob die Bewahrer der Direktzahlungen in der Mehrheit sind oder diejenigen, die die GAP umkrempeln möchten.
Green Deal am Ende?
Nächstes Fragezeichen ist der Green Deal: Die Pflanzenschutzverordnung (SUR) ist zurück in der Kiste, aus der sie kam. Weder das Naturwiederherstellungsgesetz noch die Pläne für die neuen Züchtungstechniken haben es vor der Wahl über die Ziellinie geschafft.
Nach der Wahl wollen CDU und CSU den Green Deal „wirtschaftsfreundlich weiterentwickeln“, die FDP fordert eine „Regulierungspause“. Die Sozialdemokraten wollen den Green Deal in seiner jetzigen Form weiterführen und sehen ihn sogar als den Leitfaden für die Agrarpolitik.
Noch drastischer als der Green Deal könnte ein EU-Beitritt der Ukraine die Agrarpolitik der EU verändern. Der würde die EU-Agrarfläche um ein Viertel ansteigen lassen und das Budget der jetzigen GAP sprengen.
Doch ob die Ukraine noch in dieser Legislatur vollwertiges EU-Mitglied wird, ist offen. Zwar bekennen sich CDU und CSU, die Grünen, die SPD und auch die FDP zum EU-Beitritt der Ukraine.
Jedoch ist ein solcher Schritt für die Parteien nur dann möglich, wenn die Ukraine alle Beitrittskriterien erfüllt. Bei Korruption und Rechtsstaatlichkeit wollen sie kein Auge zudrücken. Sowohl die AfD als auch die Linke erwähnen die Ukraine in ihren Programmen mit keinem Wort. Das Bündnis Sahra Wagenknecht fordert den Aufschub der Beitrittsverhandlungen.
Wahlcheck Europawahl
Wie stehen die Parteien zu Gentechnik, GAP oder Green Deal? Wir haben für Sie die Positionen der Parteien zu den wichtigsten agrarpolitischen Themen zusammengefasst. top agrar-Abonneneten können den Wahlcheck kostenfrei als PDF downloaden.