Fermentation von Pilzmyzelen: Erzeugen Landwirte bald Essen im Bioreaktor?
Wie eine Biogasanlage, nur für die Lebensmittelproduktion: Ein Start-up fermentiert Erbsenstärke und Pilzmyzele zu einer Proteinmasse. Könnten künftig Landwirte die Bioreaktoren betreiben?
Wurst, Nuggets, Hackfleisch oder Burger-Pattys gibt es bekanntlich auch als vegetarische Variante. Die sogenannten Fleischersatzprodukte leiden allerdings unter ihrem Ruf, wegen zu vieler Zusatzstoffe ungesund zu sein. Die Nachfrage ist im Jahr 2023 deutlich zurückgegangen. Nun ist eine Technologie auf dem Vormarsch, die die Qualität von Fleischalternativen steigern und gleichzeitig Kreislaufströme im Agrarbereich nachhaltig schließen soll. Auch Landwirte könnten die Grundzutat für Fleischersatz künftig auf diese Art produzieren, sagt das Start-up Kynda (gesprochen Keinda) aus Jelmstorf in Niedersachsen.
Die Gründer Franziskus Schnabel und Daniel MacGowan wollen Bioreaktoren für die Fermentation von Pilzmyzelen vertreiben. Darin fermentieren Pilzkulturen organische Reststoffe wie Erbsenstärke, Kleie oder Trester so, dass daraus nach einer Woche eine essbare, geschmacksneutrale, faserige Proteinmasse wird, die (fast) ohne Zugabe von Zusatzstoffen auskommen soll. Diese dient wiederum als Grundzutat für vegetarische Buletten & Co.
Noch wartet die Branche auf die EU-Zulassung als sogenanntes Novel Food (zu dt. neuartiges Lebensmittel) und rechnet in diesem Jahr damit. Aber die Technologie an sich erlebt in der Ernährungsbranche bereits einen Hype und wird wohl bald einsatzfähig sein.
Deshalb erklärt top agrar schon heute, wie Biomasse-Fermentation funktioniert, was die Pilzkulturen dabei tun und wie ein Rechenbeispiel für die Agrarbranche aussehen könnte.
Nebenströme „aufwerten“
Kynda will Biomasse-Fermenter zur Lebensmittelherstellung in die Landwirtschaft und ihre vor- und nachgelagerten Bereiche vermarkten. „Es geht darum, Nebenströme zu verwerten und daraus neue Wertschöpfung zu machen“, sagt Franziskus Schnabel. Was Neudeutsch als „upcycling“ bezeichnet wird, meint die Aufwertung von Kleie, Erbsenstärke, Gemüse- und Obstschalen, Trester oder anderen organischen Reststoffen, die in der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung anfallen. Die Aufwertung liege darin, dass die Nebenströme nicht als Tierfutter oder zur Energieerzeugung, sondern als Lebensmittel verwendet werden.
Die „normale“ Fermentation (lat. Gärung), die man z. B. vom Sauerkraut kennt, bezeichnet die Umwandlung von organischem Material durch Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze oder Einzeller bzw. deren Enzyme. Im Gegensatz zur einfachen Vergärung des Ausgangsstoffes ist es in der Biotechnologie nun aber Trend, ausgewählte Pilzkulturen hinzuzugeben, die die Fermentation im Rahmen ihres eigenen Stoffwechsels durchführen und den organischen Ausgangsstoff so verändern, dass ein neuer Stoff dabei herauskommt.
Im Fall von Kynda entsteht aus Erbsenstärke ein geschmacksneutraler Grundstoff, auf dessen Eigenschaften der Gründer schwört. „Das Produkt überzeugt durch einen hohen Nährwert und einen hohen Proteinanteil mit derselben Aminosäurezusammensetzung wie Fleisch“, sagt Franziskus Schnabel. „Außerdem können wir aus wenig Rohstoff viel Lebensmittel herstellen.“ So kommen nach Angaben des Gründers am Anfang des Prozesses etwa 5 % Nebenstrom-Rohstoff und 95 % Wasser in den Reaktor hinein. Filtert man nach dem Prozess das Wasser wieder aus der fertigen Masse heraus, bleiben 45 % Lebensmittel-Rohstoff übrig.
Die Pilzmasse wird in etwa so genutzt wie Verarbeitungsfleisch. In einem ähnlichen Preissegment wird sie liegen."
Franziskus Schnabel, Mitgründer von Kynda
Welchen Pilz das Start-up für die Fermentation ausgewählt hat, verrät der Gründer nicht. „Aber es ist einer der klassischen Speisepilze, der sich super eignet und total unkompliziert wächst.“
Was passiert im Bioreaktor?
Kynda hat einen „Plug and Play“-Bioreaktor entwickelt, der günstiger zu betreiben sein soll, als bisher im Laborbereich der Pharmazie- oder Chemiebranche üblich. So muss der Tank für die Lebensmittelerzeugung z.B. nicht steril, sondern lediglich hygienisch sein. „Er muss sich im Grunde nur dafür eignen, Sauerstoff in den Fermentationsprozess zu bringen, den Druck auszugleichen, die enthaltene Lösung zu mischen und den Prozess sauber zu halten.“ Kein Hexenwerk also. Kynda habe die Prozesse so vereinfacht, dass für den Betrieb kein wissenschaftliches Knowhow mehr notwendig ist.
Um von den aufwendigen Reaktoren aus der Wissenschaft zum einfacheren Biomasse-Fermenter zu kommen, baute Schnabel 2022 nach den ersten Laborversuchen einen 50-l-Bierbraubehälter für seine Zwecke um und bewies damit, dass das Prinzip funktioniert. Heute bietet er auf die Bedarfe des Kunden anpassbare Fermenter mit 1.000 l, 5.000 l oder 10.000 l Tankvolumen. Die Behälter können hintereinander geschaltet werden, sodass sich je nach Ausgangsstoffverfügbarkeit ein breites Spektrum an Fermentationskapazität abdecken lässt.
Im Reaktor befindet sich eine flüssige Nährstofflösung aus Erbsenstärke gemischt mit hygienisiertem Wasser. Auch andere organische Nebenströme könnten verarbeitet werden.
Kynda liefert zum Start des jeweiligen Durchgangs 2 bis 5 l einer vorgezüchteten Starterkultur des Pilzmyzels, mit dem die Nährstofflösung geimpft wird. „Das Prinzip muss man sich wie bei einer Kapselkaffeemaschine vorstellen“, sagt der Gründer. Danach arbeitet das System fünf bis sieben Tage lang automatisch. Das technische Monitoring übernimmt das Start-up. Kynda kann den physikalischen Prozess aus dem Büro heraus digital steuern, indem es die Temperatur, den Druck oder die Sauerstoffzufuhr im Innern des durchweg geschlossenen Behälters regelt.
Nach rund einer Woche wird geerntet. Die entstandene Myzelmasse wird abgepumpt und abgepresst. Dem Endprodukt müssen zur Weiterverarbeitung „nur“ ein bis zwei Zusatzstoffe zugeführt werden. „Das ist im Vergleich zu anderen Fleischersatzprodukten extrem wenig“, sagt Schnabel. Die Proteinmasse besteht am Ende des Prozesses aus dem Myzel selbst, Spuren des Nährmediums (in diesem Fall Erbsenstärke) und Wasser. Nach jedem Durchlauf wird der Behälter wie bei herkömmlichen Milchtanks alkalisch /sauer gereinigt.
Die Reaktoren kosten 30.000 bis 55.000 €, je nach Skalierung. Der Preis bezieht sich auf je 1.000 l Volumen und sinkt bei steigender Behältergröße. Die Produktionskosten für 1 kg Proteinmasse aus dem Upcycling von z. B. Okara, einem Nebenprodukt der Sojamilchherstellung, liegen laut Schnabel bei rund 0,31 €. Entscheidende Kostenpunkte sind Personal, Energie, Ausgangsrohstoff, Energie für Reinigung und die Reinigung selbst. Auf die Frage nach Abnahmepreisen sagt Schnabel: „Die Pilzmasse wird in etwa so genutzt wie Verarbeitungsfleisch. In einem ähnlichen Preissegment wird sie liegen.“ Nach top agrar Recherchen liegt der aktuelle Preis von Geflügel-Verarbeitungsfleisch bei rund 2,80 € / kg.
Bei der Vermarktung der Masse an Lebensmittelhersteller will das Start-up seine Kunden unterstützen.
Aktuell bereitet das Team den Vertrieb der Reaktoren vor. Die GNT Group B.V., ein Hersteller von färbenden Lebensmitteln, ist erster Kunde und gleichzeitig Investor. Das Unternehmen will Nebenströme, die beim Extrahieren von Farben aus Obst und Gemüse entstehen, fermentieren und als Lebensmittelgrundstoff weitervermarkten. Wenn der Markteintritt klappt, begegnen uns Pilze womöglich bald öfter.
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Wurst, Nuggets, Hackfleisch oder Burger-Pattys gibt es bekanntlich auch als vegetarische Variante. Die sogenannten Fleischersatzprodukte leiden allerdings unter ihrem Ruf, wegen zu vieler Zusatzstoffe ungesund zu sein. Die Nachfrage ist im Jahr 2023 deutlich zurückgegangen. Nun ist eine Technologie auf dem Vormarsch, die die Qualität von Fleischalternativen steigern und gleichzeitig Kreislaufströme im Agrarbereich nachhaltig schließen soll. Auch Landwirte könnten die Grundzutat für Fleischersatz künftig auf diese Art produzieren, sagt das Start-up Kynda (gesprochen Keinda) aus Jelmstorf in Niedersachsen.
Die Gründer Franziskus Schnabel und Daniel MacGowan wollen Bioreaktoren für die Fermentation von Pilzmyzelen vertreiben. Darin fermentieren Pilzkulturen organische Reststoffe wie Erbsenstärke, Kleie oder Trester so, dass daraus nach einer Woche eine essbare, geschmacksneutrale, faserige Proteinmasse wird, die (fast) ohne Zugabe von Zusatzstoffen auskommen soll. Diese dient wiederum als Grundzutat für vegetarische Buletten & Co.
Noch wartet die Branche auf die EU-Zulassung als sogenanntes Novel Food (zu dt. neuartiges Lebensmittel) und rechnet in diesem Jahr damit. Aber die Technologie an sich erlebt in der Ernährungsbranche bereits einen Hype und wird wohl bald einsatzfähig sein.
Deshalb erklärt top agrar schon heute, wie Biomasse-Fermentation funktioniert, was die Pilzkulturen dabei tun und wie ein Rechenbeispiel für die Agrarbranche aussehen könnte.
Nebenströme „aufwerten“
Kynda will Biomasse-Fermenter zur Lebensmittelherstellung in die Landwirtschaft und ihre vor- und nachgelagerten Bereiche vermarkten. „Es geht darum, Nebenströme zu verwerten und daraus neue Wertschöpfung zu machen“, sagt Franziskus Schnabel. Was Neudeutsch als „upcycling“ bezeichnet wird, meint die Aufwertung von Kleie, Erbsenstärke, Gemüse- und Obstschalen, Trester oder anderen organischen Reststoffen, die in der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung anfallen. Die Aufwertung liege darin, dass die Nebenströme nicht als Tierfutter oder zur Energieerzeugung, sondern als Lebensmittel verwendet werden.
Die „normale“ Fermentation (lat. Gärung), die man z. B. vom Sauerkraut kennt, bezeichnet die Umwandlung von organischem Material durch Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze oder Einzeller bzw. deren Enzyme. Im Gegensatz zur einfachen Vergärung des Ausgangsstoffes ist es in der Biotechnologie nun aber Trend, ausgewählte Pilzkulturen hinzuzugeben, die die Fermentation im Rahmen ihres eigenen Stoffwechsels durchführen und den organischen Ausgangsstoff so verändern, dass ein neuer Stoff dabei herauskommt.
Im Fall von Kynda entsteht aus Erbsenstärke ein geschmacksneutraler Grundstoff, auf dessen Eigenschaften der Gründer schwört. „Das Produkt überzeugt durch einen hohen Nährwert und einen hohen Proteinanteil mit derselben Aminosäurezusammensetzung wie Fleisch“, sagt Franziskus Schnabel. „Außerdem können wir aus wenig Rohstoff viel Lebensmittel herstellen.“ So kommen nach Angaben des Gründers am Anfang des Prozesses etwa 5 % Nebenstrom-Rohstoff und 95 % Wasser in den Reaktor hinein. Filtert man nach dem Prozess das Wasser wieder aus der fertigen Masse heraus, bleiben 45 % Lebensmittel-Rohstoff übrig.
Die Pilzmasse wird in etwa so genutzt wie Verarbeitungsfleisch. In einem ähnlichen Preissegment wird sie liegen."
Franziskus Schnabel, Mitgründer von Kynda
Welchen Pilz das Start-up für die Fermentation ausgewählt hat, verrät der Gründer nicht. „Aber es ist einer der klassischen Speisepilze, der sich super eignet und total unkompliziert wächst.“
Was passiert im Bioreaktor?
Kynda hat einen „Plug and Play“-Bioreaktor entwickelt, der günstiger zu betreiben sein soll, als bisher im Laborbereich der Pharmazie- oder Chemiebranche üblich. So muss der Tank für die Lebensmittelerzeugung z.B. nicht steril, sondern lediglich hygienisch sein. „Er muss sich im Grunde nur dafür eignen, Sauerstoff in den Fermentationsprozess zu bringen, den Druck auszugleichen, die enthaltene Lösung zu mischen und den Prozess sauber zu halten.“ Kein Hexenwerk also. Kynda habe die Prozesse so vereinfacht, dass für den Betrieb kein wissenschaftliches Knowhow mehr notwendig ist.
Um von den aufwendigen Reaktoren aus der Wissenschaft zum einfacheren Biomasse-Fermenter zu kommen, baute Schnabel 2022 nach den ersten Laborversuchen einen 50-l-Bierbraubehälter für seine Zwecke um und bewies damit, dass das Prinzip funktioniert. Heute bietet er auf die Bedarfe des Kunden anpassbare Fermenter mit 1.000 l, 5.000 l oder 10.000 l Tankvolumen. Die Behälter können hintereinander geschaltet werden, sodass sich je nach Ausgangsstoffverfügbarkeit ein breites Spektrum an Fermentationskapazität abdecken lässt.
Im Reaktor befindet sich eine flüssige Nährstofflösung aus Erbsenstärke gemischt mit hygienisiertem Wasser. Auch andere organische Nebenströme könnten verarbeitet werden.
Kynda liefert zum Start des jeweiligen Durchgangs 2 bis 5 l einer vorgezüchteten Starterkultur des Pilzmyzels, mit dem die Nährstofflösung geimpft wird. „Das Prinzip muss man sich wie bei einer Kapselkaffeemaschine vorstellen“, sagt der Gründer. Danach arbeitet das System fünf bis sieben Tage lang automatisch. Das technische Monitoring übernimmt das Start-up. Kynda kann den physikalischen Prozess aus dem Büro heraus digital steuern, indem es die Temperatur, den Druck oder die Sauerstoffzufuhr im Innern des durchweg geschlossenen Behälters regelt.
Nach rund einer Woche wird geerntet. Die entstandene Myzelmasse wird abgepumpt und abgepresst. Dem Endprodukt müssen zur Weiterverarbeitung „nur“ ein bis zwei Zusatzstoffe zugeführt werden. „Das ist im Vergleich zu anderen Fleischersatzprodukten extrem wenig“, sagt Schnabel. Die Proteinmasse besteht am Ende des Prozesses aus dem Myzel selbst, Spuren des Nährmediums (in diesem Fall Erbsenstärke) und Wasser. Nach jedem Durchlauf wird der Behälter wie bei herkömmlichen Milchtanks alkalisch /sauer gereinigt.
Die Reaktoren kosten 30.000 bis 55.000 €, je nach Skalierung. Der Preis bezieht sich auf je 1.000 l Volumen und sinkt bei steigender Behältergröße. Die Produktionskosten für 1 kg Proteinmasse aus dem Upcycling von z. B. Okara, einem Nebenprodukt der Sojamilchherstellung, liegen laut Schnabel bei rund 0,31 €. Entscheidende Kostenpunkte sind Personal, Energie, Ausgangsrohstoff, Energie für Reinigung und die Reinigung selbst. Auf die Frage nach Abnahmepreisen sagt Schnabel: „Die Pilzmasse wird in etwa so genutzt wie Verarbeitungsfleisch. In einem ähnlichen Preissegment wird sie liegen.“ Nach top agrar Recherchen liegt der aktuelle Preis von Geflügel-Verarbeitungsfleisch bei rund 2,80 € / kg.
Bei der Vermarktung der Masse an Lebensmittelhersteller will das Start-up seine Kunden unterstützen.
Aktuell bereitet das Team den Vertrieb der Reaktoren vor. Die GNT Group B.V., ein Hersteller von färbenden Lebensmitteln, ist erster Kunde und gleichzeitig Investor. Das Unternehmen will Nebenströme, die beim Extrahieren von Farben aus Obst und Gemüse entstehen, fermentieren und als Lebensmittelgrundstoff weitervermarkten. Wenn der Markteintritt klappt, begegnen uns Pilze womöglich bald öfter.