Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am 16. April Akteure auf allen Ebenen zu einem Netzanschlussgipfel eingeladen. Themen sind u.a. die Beschleunigung des Netzanschlusses von Erneuerbare-Energie-Anlagen, Ladeinfrastruktur, Wärmepumpen und Speicher.
Beim Netzanschluss geht es zum einen um den Anschluss von Stromerzeugern. Hier werde das soeben fertiggestellte Solarpaket laut Bundeswirtschaftsministerium einen Investitionsschub im Solarbereich auslösen. Die Neuanlagen sollen möglichst einfach, das heißt digital, einheitlich, schnell und transparent an das Stromnetz angeschlossen werden. Solarausbau und Netzanschluss müssen Hand in Hand gehen.
Zum anderen müssen die Abnehmer an das Netz angeschlossen werden, also Privathaushalte, aber auch Gewerbe, Handel und Unternehmen, die expandieren und investieren und sich unkompliziert an das Stromnetz anschließen wollen, um etwa Ladesäulen auf Parkplätzen bereitzustellen oder Wärmepumpen zu installieren.
Dreh- und Angelpunkt dafür ist der Ausbau des Verteilnetzes. Die über 800 Verteilnetzbetreiber in Deutschland sind gesetzlich dazu verpflichtet, den Ausbau vorausschauend zu planen und bedarfsgerecht umzusetzen.
Der Netzanschluss-Gipfel ist Teil des Branchendialogs „Beschleunigung von Netzanschlüssen“, den das BMWK initiiert hat mit dem Ziel, den Netzanschluss aller Energiewendetechnologien zu beschleunigen.
Neuer Vorschlag der Branche
Der Netzausbau hinkt dem Ausbau der erneuerbaren Energien hinterher. Deswegen schlägt der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) vor, das bestehende Netz und die Netzanschlusskapazitäten besser auszulasten. Denn immer häufiger haben Projektierer von Erneuerbaren-Energien-Anlagen Schwierigkeiten, einen freien Punkt (sog. Netzverknüpfungspunkt, NVP) für den Netzanschluss zu finden. Das bremst den Ausbau der Erneuerbaren erheblich, führt zu enormen Kostensteigerungen und kann gerade bei kleineren Photovoltaik- und Windprojekten das Aus bedeuten.
Mit seiner Studie zur effizienteren Nutzung von NVP hat der BEE jetzt einen Vorschlag zur größtmöglichen Beschleunigung des Netzanschlusses vorgelegt. Ausgangspunkt dafür war, dass aufgrund des derzeitigen Rechtsrahmens die Auslastung von NVP nur gering ist. Denn jede angeschlossene Anlage muss zu jedem Zeitpunkt 100 Prozent ihrer Leistung einspeisen können. Da die Energieproduktion von Photovoltaik- und Windenergieanlagen schwankt, speisen diese meistens nicht zeitgleich mit ihrer vollen Leistung ein. Die durchschnittliche Nutzung eines NVP innerhalb eines Jahres liegt, wie die BEE-Studie zeigen konnte, bei der Photovoltaik bei 13 % und bei modernen Windenergieanlagen bei 33 %. Durch die gemeinsame Nutzung von NVP ließe sich die Ausnutzung auf 53 % steigern und damit zum Teil mehr als verdoppeln.
„Mit einem schnelleren Anschluss wird ein wichtiger Puffer geschaffen, da der Netzausbau dem Ausbau der Erneuerbaren bislang nicht nachkommt. Der Netzausbau muss aber gleichermaßen vorangetrieben werden“, sagt BEE-Präsidentin Dr. Simone Peter, die auch als Sachverständige beim Netzanschlussgipfel geladen war.
Der Vorschlag des BEE sieht vor, künftig mehrere Erneuerbare-Energien-Anlagen, Speicher und Anlagen zur Sektorenkopplung gemeinsam an einen NVP anzuschließen. Dabei wird mehr Leistung angeschlossen, als der NVP eigentlich transportieren kann (Überbauung). „Die Auslastung der einzelnen Punkte lässt sich damit teilweise um ein Vielfaches steigern“, so Peter. „Es bleibt sogar noch genügend Kapazität frei, um auch Back-up-Kraftwerke, wie beispielsweise flexible Biogasanlagen oder Wasserkraftwerke an den NVP anzuschließen.“
Überschüsse regen Bau von Speichern an
Zeiten, in denen mehr Energie produziert wird, als der NVP übertragen kann, treten nur selten auf, wie die Studie zeigt. „Überschüsse sind dabei sogar von Vorteil, denn sie reizen den Bau von Speichern und Sektorenkopplungstechnologien zur weiteren Nutzung des Ökostroms an. Unsere Vorschläge haben damit positive Effekte für alle Akteure der Energiewirtschaft: Projektierer, finanzierende Banken, Netzbetreiber, steuerbare Erzeugungsanlagen und Speicher, Industrie und Volkswirtschaft“, so Peter.
Die rechtliche Umsetzung ist simpel: “Minimale Anpassungen zweier Paragraphen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) könnten den Netzanschluss maximal beschleunigen und Einsparpotenziale in Milliardenhöhe freilegen”, so Peter. „200 Akteure aus der gesamten Energiewirtschaft unterstützen die Vorschläge des BEE. Das zeigt, wie dringend der Handlungsbedarf ist, und wie groß die Vorteile für alle Beteiligten sind. Die Bundesregierung sollte die gemeinsame Nutzung und Überbauung von Netzverknüpfungspunkten daher noch in diesem Jahr umsetzen“, so Peter.
Auch für Biogasanlagen positiv
Das Modell kann auch Biogasanlagen helfen, stärker zu flexibilisieren. Hierzu ein Beispiel: Wenn eine Anlage mit 2 MW installierter Leistung die Laufzeit von 8000 Stunden im Jahr auf 2000 reduziert, könnte sie die installierte Leistung auf 8 MW erweitern und würde trotzdem die gleiche Strommenge wie vorher produzieren. Die Reduktion der Laufzeit ist für das künftige Stromsystem nötig, um nur noch dann Strom einzuspeisen, wenn Wind- und Solaranlagen nicht genügend produzieren. „Doch der Netzbetreiber würde in diesem Beispiel die 8 MW als Basis nehmen und so tun, als wenn diese Leistung rund um die Uhr anliegt“, erklärt Dr. Matthias Stark, Leiter Fachbereich Erneuerbare Energiesysteme im BEE. Wenn zudem auch Wind- und Solarparks an dem gleichen NVP angeschlossen sind, wird verkannt, dass sich schon Wind- und Solaranlagen ergänzen und Biogasanlagen in der Regel nicht einspeisen, wenn die anderen produzieren.
Speicherbranche drückt aufs Tempo
Auch der Bundesverband Energiespeicher Systeme (BVES) unterstützt den Netzanschlussgipfel und die vorgelegte Fokusagenda des BMWK zur Beschleunigung von Netzanschlüssen. Gleichzeitig mahnt der BVES nun Schnelligkeit an, um konkret ins Tun und die Umsetzung zu kommen. Denn Netzanschlussnehmer wie Energiespeicher in allen Sektoren und Märkten sehen sich laut BVES weiterhin konfrontiert mit ständig neuen Anforderungen, die je nach Netzbetreiber zudem deutlich variieren können. Zudem mangelt es an Transparenz und Kommunikation in den laufenden Verfahren. Dies führt zu immensen Verzögerungen und damit Kosten sowohl bei Anschlussgebern als auch bei Anschlussnehmern und damit letztlich bei der Energiewende.
Es seien jetzt rechts- und investitionssichere Verfahren und Fristen nötig, flankiert durch entsprechende Folgen bei Nichteinhaltung. Gerade bei standardisierten und zertifizierten Systemen sollte eine Genehmigungsfiktion nach wenigen Wochen das Zielbild sein. Dies gilt sowohl für den physischen als auch den IT-seitigen Netzanschluss inklusive der Ausstellung der Marktlokations-IDs. Formelle Nachforderungen sollen dabei die Frist zur inhaltlichen Prüfung nicht erneut auslösen dürfen. Neben verbindlichen Fristen sei auch ein gangbarer Reservierungsmechanismus von Netzanschlüssen wichtig, der Phantomreservierungen unterbinden kann und gleichzeitig Sicherheit in der Projektplanung bietet.
Weitere Infos
Die Studie des BEE finden Sie unter dem Link https://www.bee-ev.de/themen/fachthemen/netzverknuepfungspunkte
Weitere Informationen zum Netzausbau finden Sie hier.
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