Erfahrungen aus den letzten Jahren zeigen, dass manche Landwirte in Dürrezeiten Schwierigkeiten haben, Vorkontrakte zu bedienen. Wann liegt höhere Gewalt vor und wie ist die rechtliche Lage?
In den vergangenen Jahren hat Deutschland einige heftige Dürren erlebt - und anscheinend steuern wir auch 2023 wieder in eine hinein. Die Bundeslandwirtschaftsministerium sprach 2018 schon von einem „Naturereignis nationalen Ausmaßes“. Ist eine Dürre deshalb als höhere Gewalt auszulegen, mit der Folge, dass Landwirte Lieferkontrakte nicht zwingend erfüllen müssen?
Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten, denn es kommt auf den jeweils geschlossenen Vertrag an. Viele Juristen kommen durchaus zu dem Schluss, dass eine Dürre als „höhere Gewalt“ einzustufen sein könnte.
Ist die Lieferung unmöglich?
Die Geister scheiden sich allerdings bei der Frage, ob dadurch eine Lieferung „unmöglich“ geworden ist. Beim Getreidehandel gelten häufig die Einheitsbedingungen im Getreidehandel (EHG). Hier sieht Alexander Bauer, Syndikusrechtsanwalt beim Verein der Getreidehändler der Hamburger Börse e.V., die Lage so:
Zusätzlich zur höheren Gewalt muss es dem Landwirt „unverschuldet unmöglich“ sein, zu liefern. Bei der Beurteilung, ob die Lieferung unmöglich war, kommt es stark auf den Vertrag an.
Unmöglich könnte die Lieferung sein, wenn der Landwirt die Lieferung eng an eine bestimmte Fläche gebunden hat („beschränkte Gattungsschuld“). Im Vertrag müsste also sinngemäß stehen: „Ich verpflichte mich zur Lieferung der kompletten Ernte des Winterweizens vom Schlag XY.“
Oft wird aber nur eine „echte Gattungsschuld“ vereinbart. Im Vertrag steht dann – hier vereinfacht: „Ich verpflichte mich zur Lieferung von 100 t Winterweizen.“ Der Landwirt verkauft also Ware unabhängig davon, wo er sie produziert. Dann wird es schwer vor Gericht zu argumentieren, dass eine Lieferung durch höhere Gewalt unmöglich ist, so Syndikus Bauer.
Das zeigten auch die Entscheidungen der Schiedsgerichte, die für Streitfälle nach den EHG zuständig sind. Sie verpflichteten in der Vergangenheit Landwirte auch dann zur Lieferung, wenn diese z.B. aufgrund von Hochwasser drastische Ernteeinbußen hatten.
Landwirt muss nur das liefern, was er erntet
Hubertus Schmitte, Rechtsanwalt beim Westfälisch Lippischen Landwirtschaftsverband, geht davon aus, dass sich die meisten Kontrakte auf eine „beschränkte Gattungsschuld“ beziehen, sodass der Landwirt nur das liefern muss, was er geerntet hat. Denn im Regelfall will ein Landwirt das verkaufen, was er produziert hat, und nicht als Händler auftreten, so Schmitte.
Wie können Sie sich verhalten?
Die Rechtslage ist alles andere als eindeutig – eine allgemeine Lösungsmöglichkeit bei Getreide-Kontrakten deute sich derzeit nicht an, so Rechtsanwalt Götz Gärtner aus Helmstedt. Bei einer Klage auf Nichterfüllung eines Getreide-Kontraktes gelten in der Regel die Einheitsbedingungen im Getreidehandel. Damit sind nicht die „normalen Gerichte“, sondern die Schiedsgerichte zuständig. Ihre Urteile werden nicht veröffentlicht. Rechtsanwalt Gärtner empfiehlt betroffenen Landwirten:
Melden Sie Lieferausfälle, sobald sie abzusehen sind, sofort Ihrem Käufer!
Gehen Sie aktiv auf den Käufer zu, um eine Verhandlungslösung zu finden.
Denn oft sind beide Seiten an einer Verhandlungslösung interessiert – auch Landhändler haben ein Interesse an Vorkontrakten, um längerfristig planen zu können. Eine gängige Lösung ist etwa die Verschiebung der Menge mit Preisabschlag ins nächste Jahr.
Grundsätzlich sollten Landwirte neben der kurzfristigen Diskussion aber auch langfristige Überlegungen anstellen: Zwar sind Kontrakte zur Absicherung guter Preise attraktiv, andererseits steigt angesichts des Klimawandels das Risiko von Ausfällen, was eine Geltendmachung von höherer Gewalt noch schwieriger machen dürfte.
Um die gleichen Probleme wie in diesem Jahr zu verhindern, ist Landwirten dringend anzuraten, sich in die Diskussion zur Vertragsgestaltung einzumischen, die nach wie vor so gut wie ausschließlich vom Handel und den Getreide- und Produktbörsen vorgenommen wird. Prüfen Sie außerdem die Möglichkeiten zur Versicherbarkeit und Vorsorge!
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In den vergangenen Jahren hat Deutschland einige heftige Dürren erlebt - und anscheinend steuern wir auch 2023 wieder in eine hinein. Die Bundeslandwirtschaftsministerium sprach 2018 schon von einem „Naturereignis nationalen Ausmaßes“. Ist eine Dürre deshalb als höhere Gewalt auszulegen, mit der Folge, dass Landwirte Lieferkontrakte nicht zwingend erfüllen müssen?
Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten, denn es kommt auf den jeweils geschlossenen Vertrag an. Viele Juristen kommen durchaus zu dem Schluss, dass eine Dürre als „höhere Gewalt“ einzustufen sein könnte.
Ist die Lieferung unmöglich?
Die Geister scheiden sich allerdings bei der Frage, ob dadurch eine Lieferung „unmöglich“ geworden ist. Beim Getreidehandel gelten häufig die Einheitsbedingungen im Getreidehandel (EHG). Hier sieht Alexander Bauer, Syndikusrechtsanwalt beim Verein der Getreidehändler der Hamburger Börse e.V., die Lage so:
Zusätzlich zur höheren Gewalt muss es dem Landwirt „unverschuldet unmöglich“ sein, zu liefern. Bei der Beurteilung, ob die Lieferung unmöglich war, kommt es stark auf den Vertrag an.
Unmöglich könnte die Lieferung sein, wenn der Landwirt die Lieferung eng an eine bestimmte Fläche gebunden hat („beschränkte Gattungsschuld“). Im Vertrag müsste also sinngemäß stehen: „Ich verpflichte mich zur Lieferung der kompletten Ernte des Winterweizens vom Schlag XY.“
Oft wird aber nur eine „echte Gattungsschuld“ vereinbart. Im Vertrag steht dann – hier vereinfacht: „Ich verpflichte mich zur Lieferung von 100 t Winterweizen.“ Der Landwirt verkauft also Ware unabhängig davon, wo er sie produziert. Dann wird es schwer vor Gericht zu argumentieren, dass eine Lieferung durch höhere Gewalt unmöglich ist, so Syndikus Bauer.
Das zeigten auch die Entscheidungen der Schiedsgerichte, die für Streitfälle nach den EHG zuständig sind. Sie verpflichteten in der Vergangenheit Landwirte auch dann zur Lieferung, wenn diese z.B. aufgrund von Hochwasser drastische Ernteeinbußen hatten.
Landwirt muss nur das liefern, was er erntet
Hubertus Schmitte, Rechtsanwalt beim Westfälisch Lippischen Landwirtschaftsverband, geht davon aus, dass sich die meisten Kontrakte auf eine „beschränkte Gattungsschuld“ beziehen, sodass der Landwirt nur das liefern muss, was er geerntet hat. Denn im Regelfall will ein Landwirt das verkaufen, was er produziert hat, und nicht als Händler auftreten, so Schmitte.
Wie können Sie sich verhalten?
Die Rechtslage ist alles andere als eindeutig – eine allgemeine Lösungsmöglichkeit bei Getreide-Kontrakten deute sich derzeit nicht an, so Rechtsanwalt Götz Gärtner aus Helmstedt. Bei einer Klage auf Nichterfüllung eines Getreide-Kontraktes gelten in der Regel die Einheitsbedingungen im Getreidehandel. Damit sind nicht die „normalen Gerichte“, sondern die Schiedsgerichte zuständig. Ihre Urteile werden nicht veröffentlicht. Rechtsanwalt Gärtner empfiehlt betroffenen Landwirten:
Melden Sie Lieferausfälle, sobald sie abzusehen sind, sofort Ihrem Käufer!
Gehen Sie aktiv auf den Käufer zu, um eine Verhandlungslösung zu finden.
Denn oft sind beide Seiten an einer Verhandlungslösung interessiert – auch Landhändler haben ein Interesse an Vorkontrakten, um längerfristig planen zu können. Eine gängige Lösung ist etwa die Verschiebung der Menge mit Preisabschlag ins nächste Jahr.
Grundsätzlich sollten Landwirte neben der kurzfristigen Diskussion aber auch langfristige Überlegungen anstellen: Zwar sind Kontrakte zur Absicherung guter Preise attraktiv, andererseits steigt angesichts des Klimawandels das Risiko von Ausfällen, was eine Geltendmachung von höherer Gewalt noch schwieriger machen dürfte.
Um die gleichen Probleme wie in diesem Jahr zu verhindern, ist Landwirten dringend anzuraten, sich in die Diskussion zur Vertragsgestaltung einzumischen, die nach wie vor so gut wie ausschließlich vom Handel und den Getreide- und Produktbörsen vorgenommen wird. Prüfen Sie außerdem die Möglichkeiten zur Versicherbarkeit und Vorsorge!