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Lass uns reden​

Lebensmittelhygiene: Eine Schwachstelle ist oftmals der Verbraucher selbst

Lebensmittel waren noch nie so sicher wie heutzutage, meint BfR-Präsident Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel. Probleme gebe es vor allem in den Küchen der Verbraucher.​

Lesezeit: 8 Minuten

Am 6. Juni sprechen F.A.Z. und top agrar im Rahmen des Diskussionsformats „Lass uns reden“ mit Landwirten, Politikern und Wirtschaftsvertretern über die Landwirtschaft der Zukunft. Gemeinsam stellen wir uns die Frage „Salmonellen, Rückstände, Antibiotika & Co. – Wie sicher sind Lebensmittel von Deutschlands Bauern wirklich?“. Melden Sie sich jetzt an und seien Sie am 6. Juni ab 19 Uhr im Berliner o2 Basecamp live dabei oder verfolgen Sie die Diskussion kostenlos über unseren Livestream. Alle Informationen zum Podium sowie der Anmeldung finden Sie hier.

Wir sprachen vorab mit Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Der Veterinärmediziner, Mikrobiologe und Hygieniker ist Teil unserer Expertenrunde zum Thema Lebensmittelsicherheit.

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top agrar: Wie sicher sind unsere Lebensmittel? Warum kommt es immer wieder zu Problemen?

Hensel: Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster: Unsere Lebensmittel waren noch nie so sicher wie heute. Daran ändern auch alle vermeintlichen „Skandale“ nichts. Im Gegenteil, belegen sie doch die Wachsamkeit und Wirksamkeit der Überwachung. Dazu tragen viele bei: die Lebensmittelunternehmen von der Urproduktion bis zum Handel durch ihre Eigenkontrollen, die Überwachungsbehörden der Bundesländer und die anderen Beteiligten des Bundes, zu denen wir als wissenschaftlich unabhängige Einrichtung des öffentlichen Rechts auch gehören.

Trotz aller Fortschritte haben wir dennoch immer wieder ernste Situationen, die Menschenleben gefährden, etwa durch Listerienausbrüche. Dank moderner genetischer Analysen gelingt es hier heute viel rascher, die Quelle zu finden und zu handeln.

Wo sehen Sie die Schwachstelle im System?

Hensel: Das ist jetzt vielleicht überraschend, aber eine Schwachstelle ist oftmals der Verbraucher selbst. Immer noch werden Fehler bei der Küchenhygiene gemacht. Aus Sicht der Risikobewertung ist die private Küche eine biologische Hochrisikozone. Anders ist es kaum zu erklären, dass jährlich mehr als 200 000 Erkrankungsfälle auftreten, die vermutlich überwiegend auf bakteriell, viral oder parasitär verunreinigte Lebensmittel zurückgehen. Gründliches Händewaschen, das Vermeiden von Kreuzkontamination, korrektes Garen und richtiges Lagern von Lebensmitteln sind einige der Regeln, die wir alle beherzigen sollten.

Eine Schwachstelle ist oftmals der Verbraucher selbst. (...) Aus Sicht der Risikobewertung ist die private Küche eine biologische Hochrisikozone."
Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel

Ein weiteres Thema sind die Limitierungen in der Lebensmittelüberwachung und in den Eigenkontrollsystemen der Wirtschaftsbeteiligten. Infektionserreger sind im Alltag „unsichtbar“. Man muss gezielt nach ihnen suchen, um sie sichtbar zu machen. Damit das gelingt, brauchen wir eine lückenlose Dokumentation der Lebensmittelkette. Das gilt auch für stark verarbeitete Produkte sowie Zutaten, die außerhalb der EU produziert wurden.

Eine Herausforderung ist, dass nicht alle Erreger sicher nachgewiesen werden können. Zudem sind die Überwachung und die Eigenkontrollen nicht umfassend, sondern erfolgen nur mit Stichproben, oft auch risikoorientiert. Und schließlich sind Fehler in der Lieferkette, etwa Abweichen von vorgesehenen Temperaturen, nur schwer erkennbar.

Die Verbraucher treibt die Frage nach Antibiotika in Lebensmitteln um? Wie groß ist das Problem?

Hensel: Vielleicht sollte man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass auch Tiere ein Anrecht auf Behandlung haben, wenn sie krank sind. Das gilt es, nicht zu vergessen. Ganz allgemein muss man zwischen dem Problem der Antibiotikarückstände in Lebensmitteln und dem der Antibiotikaresistenzen trennen.

Der Einsatz von Antibiotika im Stall unterliegt strengen Auflagen. Insgesamt werden daher bei amtlichen Kontrollen nur sehr selten positive Proben von Rückständen gefunden. Die Konzentrationen sind in der Regel sehr niedrig. Das gesundheitliche Risiko für den Verbraucher ist entsprechend gering. Aus einer einmaligen Aufnahme eines mit Rückständen belasteten Lebensmittels ergibt sich keine Gesundheitsgefährdung.

Auch Tiere haben ein Anrecht auf Behandlung, wenn sie krank sind. Das gilt es, nicht zu vergessen."
Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel

Zum Thema Antibiotikaresistenzen: Resistente Keime können auf allen Lebensmitteln vorkommen. Die Ergebnisse des Zoonosen-Monitorings zeigen, dass insbesondere Hähnchenfleisch häufig mit resistenten Bakterien belastet ist. Der Verbraucher kann hier aber durch Einhalten von Küchenhygieneregeln einen wichtigen Beitrag leisten, damit resistente Keime nicht zur Gefahr werden. Was das gesundheitliche Risiko angeht, muss man betonen, dass nur in wenigen Fällen ein mit einem Zoonoseerreger kontaminiertes Lebensmittel zu einer Infektion führt.

Jeder Landwirt, der Tiere hält, muss halbjährlich melden, wie häufig er Antibiotika einsetzt. Diese Daten werden in der zentralen staatlichen HIT-Datenbank gesammelt. Schaut man sich die Entwicklung an, dann sinkt der Antibiotikaeinsatz. Sind wir somit nicht auf einem guten Weg?

Hensel: Das stimmt zum Teil. In den vergangenen Jahren ist erfreulicherweise der Verbrauch an kritischen, für die Humanmedizin besonders wichtigen Antibiotika in den Tierställen dramatisch um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Es wird weniger therapiert, eine Ausnahme sind jedoch die Masthühner. Erwähnenswert ist zudem, dass das kritische Antibiotikum Colistin seltener eingesetzt wird. Allerdings kommen Länder wie Dänemark und die Niederlande fast ohne Colistin bei Tieren aus.

Wie sieht es mit Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln aus?

Hensel: Im Rahmen von Zulassungsverfahren prüft das BfR Pflanzenschutzmittel und die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe auf gesundheitliche Risiken. Das schließt auch erwartbare Rückstände in Lebensmitteln mit ein. Gesundheitliche Beeinträchtigungen bei Verbraucherinnen und Verbrauchern durch korrekt eingesetzte Pflanzenschutzmittel sind dem BfR nicht bekannt. Für den Konsumenten besteht kein nennenwertes gesundheitliches Risiko, das von Rückständen auf Lebensmitteln ausgeht.

Für den Konsumenten besteht kein nennenswertes gesundheitliches Risiko, das von Rückständen (von Pflanzenschutzmitteln) auf Lebensmitteln ausgeht."
Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel

Dies wird auch deutlich, wenn man sich die jährlich erscheinenden Berichte des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zur „Nationalen Berichterstattung Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmitteln“ ansieht. Diese zeigen, dass die meisten Proben pflanzenschutzmittelfrei sind oder so geringe Rückstände enthalten, dass keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten ist.

Wir leben in einer stark globalisierten Welt. Es treten immer mehr Lieferanten auf dem Weltmarkt auf. Wie lässt sich sicherstellen, dass einwandfreie Ware bei uns auf dem Teller landet?

Hensel: Es gibt internationale Übereinkommen wie den Codex alimentarius, die ein wichtiges Fundament für die internationale Lebensmittelsicherheit darstellen. Und in der EU existieren Vermarktungsnormen für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Das Einhalten solcher Standards wird kontrolliert und ist die Basis für sichere und einwandfreie Produkte auf dem Markt.

Müssten andere Länder nicht längst unseren Standard übernehmen?

Hensel: Wenn sie Produkte in den gemeinsamen Markt der EU liefern wollen, müssen sie das sowieso. Entscheidend aber sind an dieser Stelle nicht allein Standards, sondern faktische Sicherheit und sichere Produkte.

Was ich damit meine? Ein Grenzwert, der andernorts über dem unseren liegt, bedeutet deshalb noch nicht automatisch ein Gesundheitsrisiko, in den allermeisten Fällen sind Grenzwerte die Handelsstandards. Ansonsten gibt es keine Importgenehmigungen.

Gibt es unterschätzte Infektionsquellen in Lebensmitteln?

Hensel: Bei Infektionsquellen denkt man meist zuerst an tierische Lebensmittel. Doch können auch pflanzliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse mit Risiken behaftet sein. Nicht vergessen werden sollte zudem, dass alleine die Produktionsform Lebensmittel nicht zwangsläufig sicherer macht. So können auch regionale Produkte oder auch „Bio“-Lebensmittel mit Krankheitserregern verunreinigt sein.

Auch „Bio“-Lebensmittel können mit Krankheitserregern verunreinigt sein."
Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel

Unverarbeitete Produkte wie Rohmilch sind riskanter als verarbeitete. Auch neue Verarbeitungsverfahren, neuartige Lebensmittel und Vermarktungskonzepte sowie der Verzicht auf Verpackungen können mit gesundheitlichen Risiken verbunden sein. Dies zu bewerten, ist unser Job.

Zehntausende Menschen erkranken pro Jahr, weil die Küchenhygiene nicht stimmt. Dazu zählen beispielsweise Durchfallerkrankung wie Campylobacter oder Listerien. Stattdessen sorgen sich die meisten Menschen um Antibiotika und PSM in Lebensmitteln. Fürchten wir uns vor den falschen Risiken?

Hensel: In Deutschland sitzt die Angst vor der Chemie besonders tief. Wir neigen zur Verklärung der Natur und zur Romantisierung. Schlecht scheint Menschen eben das, was nicht natürlich, sondern menschengemacht ist, wie Antibiotika und Pestizide.

Ein weiterer Faktor: Die Sensitivität der heutigen Analytik. Labore sind heute ohne weiteres in der Lage, einen Zuckerwürfel im Starnberger See nachzuweisen. Wir sind heute in der Analytik um den Faktor 10 hoch 9 besser als in den 60er Jahren. Krebserzeugende Stoffe sind daher in so gut wie jedem Lebensmittel zu finden. In jedem Schnitzel sind neben den gewünschten Inhaltsstoffen auch immer unerwünschte, so zum Beispiel Dioxine. Es gibt nichts zu essen, was kein Dioxin enthält. Heute können Labore schon wenige Moleküle solcher Stoffe messen. Es ist jedoch so wenig, dass es praktisch nicht schadet.

Aber die Unterscheidung zwischen Gefahr und Risiko ist für den Verbraucher schwer verständlich. Auch die Medien spielen eine gewichtige Rolle bei der verzerrten Risikowahrnehmung. Sie nehmen Stimmungen auf und können sie verdrehen und katastrophisieren. Zuspitzung und Emotionalisierung bringen Quote und Klicks.

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