Ratgeber Biostimulanzien: Viele Produkte, viele Funktionen
Die Produktvielfalt bei Pflanzen-Biostimulanzien ist groß, die Funktionsweisen zum Teil sehr komplex. Dennoch lassen sich die oft noch jungen Produkte in drei übergeordnete Wirkungsgruppen einordnen.
Unser Autor: Prof. Dr. Günter Neumann, Institut für Kulturpflanzenwissenschaften, Universität Hohenheim
Abiotischer Stress mindert weltweit das Ertragspotenzial aller wichtigen Kulturpflanzen um etwa 65 bis 80 % – wegen des Klimawandels mit steigender Tendenz. Am stärksten wirken sich Trockenheit und Hitze auf die Erntemengen aus. Außerdem begrenzen hohe Kosten für Betriebsmittel und rechtliche Einschränkungen bei Pflanzenschutz- und Düngemitteln die Ertragsniveaus.
Vor diesem Hintergrund werden immer häufiger sogenannte Biostimulanzien als Hoffnungsträger diskutiert. Sie eröffnen die Perspektive, durch eine verbesserte Stressresilienz der Pflanzen auch unter ungünstigeren Wachstumsbedingungen Erträge abzusichern.
Biostimulanzien sind als Nischenanwendungen zwar schon seit Langem bekannt, werden aber aktuell aufgrund der beschriebenen Herausforderungen mit zahlreichen neuen Produktentwicklungen verstärkt propagiert.
Schon heute stellt diese Produktgruppe einen Wachstumsmarkt mit weltweiten Umsätzen von derzeit etwa 3 Mrd. US-$ dar – die jährlichen Wachstumsraten belaufen sich auf 12 bis 15 %. Anwendungsschwerpunkte liegen in Europa und Nordamerika im Obst-, Gemüse- und zunehmend auch im Ackerbau (mit ähnlichen Anteilen).
Den Hauptanteil bilden dabei nichtmikrobielle Biostimulanzien, wie z. B. Aminosäuren/Peptide, Algen- und Pflanzenextrakte, Huminstoffe und auch anorganische Stoffe mit Schutzfunktionen wie Silizium oder Selen. Produkte auf Basis von Mikroorganismen hingegen tragen derzeit mit rund 25 % zum Marktanteil bei.
Die Präparate werden meist über Blattspritzungen angewendet. Aber auch Bodenapplikationen und kostengünstige Saatgutbehandlungen gewinnen an Bedeutung. Trotz der großen Vielfalt und oft komplexen Zusammensetzung der verschiedenen Biostimulanzienprodukte lassen sich doch gemeinsame Wirkprinzipien abgrenzen. Diese sind im Folgenden in Untergruppen zusammengefasst.
Eine gemeinsame Eigenschaft vieler nichtmikrobieller und mikrobieller Biostimulanzien ist die Fähigkeit, pflanzliche Anpassungen an abiotischen, oft aber auch an pathogenbedingten Stress, zu aktivieren.
Das breite Wirkspektrum liegt darin begründet, dass es im pflanzlichen Stoffwechsel viele Überlappungen der Signalwege für verschiedene Anpassungen an unterschiedliche Stressfaktoren gibt.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die sogenannten „freien Radikale“, die die Pflanzen als Nebenprodukte des Stoffwechsels unvermeidlich permanent bilden. Da diese sehr reaktionsfreudig sind, können sie Zell- und Membranschäden verursachen. Daher müssen sie kontinuierlich, z. B. durch die Produktion von Antioxidanzien oder spezielle Radikalfängerenzyme, entgiftet werden.
Mit Biostimulanzien kann man Pflanzen auf Stress vorbereiten.
Stressbedingungen führen in der Regel zu erhöhten Konzentrationen der freien Radikale, und viele sichtbare Schäden sind auf deren unzureichende Entgiftung zurückzuführen. Als primäre Signale für die Aktivierung der Entgiftungsmechanismen und auch für andere Stressanpassungen, wie z. B. erhöhter Verdunstungsschutz, Änderungen des Wachstumsverhaltens oder Einlagerung von Schutzsubstanzen, dienen zum einen die erhöhten Radikalkonzentrationen selbst und zum anderen Stoffwechselprodukte, die durch die Stresseinwirkung freigesetzt werden.
Auch bestimmte mikrobielle Stoffwechselprodukte oder deren Zellwandbestandteile haben Signalwirkung und zeigen so die Gegenwart eines möglichen Störfaktors an. Dies ermöglicht den Pflanzen, Schutzmaßnahmen zu aktivieren. Weiterhin sind an der Signalübertragung Pflanzenhormone und andere Signalstoffe, wie z. B. Signalpeptide, beteiligt.
Besonders effizient sind solche Stressanpassungen dann, wenn sie durch ein moderates, noch nicht direkt schädigendes Stressereignis voraktiviert wurden (Stresspriming). Im „Ernstfall“ ist dann eine schnelle Gegenreaktion möglich.
Genau an dieser Stelle setzen auch Biostimulanzien an: Bei den nichtmikrobiellen Produkten auf Basis von Extrakten pflanzlicher Gewebe und Inhaltsstoffe (z. B. Algen-/Pflanzen-/Kompostextrakte, Aminosäuren und Peptide) können bei der Extraktion auch die oben beschriebenen Signalsubstanzen freigesetzt werden.
Allerdings werden auch nützliche Mikroorganismen über ihre Signalstoffe zunächst als mögliche Bedrohung erkannt. Dies hat aber einen positiven Effekt, da es oft zur Aktivierung von Stressabwehrreaktionen führt, die systemisch nicht nur den Infektionsort, sondern auch andere Pflanzenorgane betreffen. Mikroorganismen können darüber hinaus aktiv pflanzliche Hormone produzieren oder den pflanzlichen Hormonstoffwechsel zur Stressanpassung indirekt beeinflussen.
Zwischenfazit: Zusammenfassend lassen sich Biostimulanzien dazu einsetzen, pflanzliche Stressanpassungen kontrolliert zu aktivieren, um die Pflanze auf mögliche Stressereignisse vorzubereiten. Dies zeigt auch der Versuch mit Winterweizen.
Eine weitere, weit verbreitete Eigenschaft von Biostimulanzien ist die Förderung der Wurzelentwicklung. Sie sorgt für eine verbesserte Aneignung von Nährstoffen und Wasser, womit viele der beobachteten Nutzeffekte zu erklären sind.
Der Hintergrund ist der, dass viele nützliche Mikroorganismen (aber auch Krankheitserreger) in der Lage sind, wurzelwachstumsfördernde Pflanzenhormone (insbesondere Auxine) zu produzieren. Darüber hinaus können sie den pflanzlichen Hormonstoffwechsel indirekt in Richtung Wurzelwachstumsförderung „programmieren“, wodurch sie für sich selbst neue Besiedlungsmöglichkeiten schaffen.
Auch nichtmikrobielle Biostimulanzien können wurzelwachstumsfördernde Pflanzenhormone, Signalpeptide oder hormonähnliche Stoffe enthalten. Weiterhin sind indirekte Auswirkungen der oben beschriebenen Schutzwirkung gegen Stress möglich. Im weitesten Sinne fallen auch Mykorrhizapilze in diese Funktionskategorie. Ihre feinen Pilzhyphen übernehmen für die Wurzeln die Aufgabe der Nährstoffaufnahme.
Neben den bisher beschriebenen weit verbreiteten Wirkungen in den verschiedenen Klassen von Biostimulanzien gibt es auch Wirkungen, die für einzelne Produktkategorien oder Produkte charakteristisch sind:
Mikrobielle Stickstoffbindung: Die zentrale Bedeutung bestimmter Bodenmikroorganismengruppen beim Umsatz von Stickstoff (N) und Phosphor (P) in Böden und damit für die Pflanzenverfügbarkeit dieser Nährstoffe erklärt das Interesse, derartige Mikroorganismen auch als Biostimulanzien einzusetzen.
So enthalten zahlreiche Produkte sogenannte diazotrophe Bakterien, die Luftstickstoff binden können. Sie sollen damit – ähnlich wie Knöllchenbakterien bei Leguminosen – dazu beitragen, die Stickstoffversorgung der Kulturen zu verbessern und Dünger einzusparen.
Allerdings haben zahlreiche Studien gezeigt, dass der direkte Beitrag solcher N-fixierenden Biostimulanzien zur N-Aneignung, z. B. von Getreidearten, unter den Klimabedingungen in Mitteleuropa zu vernachlässigen ist. Deutlichere Effekte ließen sich in tropischen und subtropischen Klimazonen besonders bei C4-Pflanzen wie Mais und Zuckerrohr finden.
Das dürfte mit einer besseren Kohlenstoffversorgung durch eine verstärkte Abgabe von Wurzelabscheidungen, interne Wurzelbesiedlung und intensiveren Umsatz von Kohlenstoffverbindungen im Boden in Zusammenhang stehen. Unter diesen Bedingungen können die diazotrophen Bakterien ihren vergleichsweise hohen Kohlenstoff- und Energiebedarf besser decken.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine neue Gruppe von Produkten auf Basis des stickstoffbindenden Bakteriums Methylobacterium symbioticum. Dies ist in der Lage, Blätter über die Spaltöffnungen zu besiedeln und ist so – im Gegensatz zu Bodenbakterien – auch für Blattspritzungen in geschlossenen Beständen geeignet. Erste Berichte über Einsparungen von 20 bis 30 % an Stickstoffdüngern stammen allerdings ebenfalls aus mediterranen und subtropischen Klimazonen.
Untersuchungen zur Höhe des direkten Beitrags der bakteriellen Stickstoffbindung zur N-Versorgung der Pflanze stehen bisher noch aus. Allerdings sind für Methylobakterien, ähnlich wie für diazotrophe Bodenbakterien, auch andere pflanzenwachstumsfördernde Wirkungen bekannt, die ebenfalls zur verbesserten Nährstoffaneignung beitragen könnten. Mit diesen lassen sich die beobachteten N-Einsparungen auch unabhängig von der direkten Luftstickstoffbindung erklären.
Phosphatmobilisierung: Bis zu 50 % der Bodenbakterien und 0,5 % der Bodenpilze sind in der Lage, schwer verfügbare Bodenphosphate zu mobilisieren. Sie bilden daher eine weitere wichtige Gruppe mikrobieller Biostimulanzien. Verschiedene neuere Übersichtsstudien zeigen jedoch zum einen, dass zumindest die Mobilisierung schwer löslicher mineralischer Phosphate (ähnlich wie bei der Luftstickstoffbindung), kaum einen direkten Beitrag für die Ernährung der Pflanze unter Feldbedingungen leisten kann.
Zum anderen zeigen sie, dass sich beobachtete Effekte eher über indirekte Wirkungen wie Stimulierung des Wurzelwachstums oder längerfristig über die Freisetzung von Phosphat aus abgestorbener mikrobieller Biomasse erklären lassen.
Förderung von Mikroorganismen: Für einige mikrobielle und auch nichtmikrobielle Biostimulanzien ist inzwischen eine zumindest temporäre Stimulierung nützlicher natürlicher Mikroorganismenpopulationen mit pflanzenwachstumsfördernder Wirkung nachgewiesen.
Die beobachteten Effekte sind aber schwer vorhersagbar, weil die jeweilige Wirkung stark von Standorteffekten bestimmt wird. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass sich alleine durch die Anwendung solcher Mikroorganismenstämme längerfristige Verbesserungen der Bodengesundheit über Förderung nützlicher Mikroorganismenpopulationen erreichen lassen. Hier sind integrierte Anwendungsstrategien erforderlich, die z. B. über angepasste Düngung, Humusaufbau und Fruchtfolgemanagement optimale Rahmenbedingungen für die Etablierung der betreffenden Mikroorganismenpopulationen schaffen.
Je besser die Wachstumsbedingungen, desto schwächer der Effekt.
Förderung von Stoffwechselprozessen: Für verschiedene Produkte (z. B. Huminstoffe, Peptide) wird auch eine selektive Förderung bestimmter Stoffwechselprozesse beschrieben. Das können z. B. eine erhöhte Photosyntheserate sowie die Stimulierung der Nährstoffaufnahme durch gezielte Aktivierung von Transportsystemen oder pflanzeneigenen Mechanismen zur Nährstoffmobilisierung sein.
Chancen und Risiken
Wie deutlich die Effekte einer Anwendung von Biostimulanzien ausfallen, bestimmen die genetischen Eigenschaften der Pflanze – und ihr aktueller physiologischer Status, der durch die jeweils vorherrschenden Umwelt- und Standortbedingungen beeinflusst wird. So sind unter optimalen Wachstumsbedingungen die Reaktionen allenfalls sehr schwach ausgeprägt.
Die Dosierung und die Wahl des Anwendungszeitpunkts von Biostimulanzien erfordert daher umfangreiche Erfahrungen. Bei Fehlanwendungen können durchaus auch negative Effekte auftreten – das gilt z. B. für Überdosierungen oder wenn die Pflanze den zusätzlichen Energieaufwand, den sie für die Induktion der Abwehrreaktionen aufbringen muss, nicht ausreichend decken kann. Hier kann es zur Konkurrenz mit der Ertragsbildung kommen.
Gerade bei den komplexen Extrakten natürlichen Ursprungs ist die Standardisierung der Zusammensetzung eine weitere große Herausforderung. Mögliche Interaktionen unterschiedlicher Inhaltsstoffe sind bis heute nur ansatzweise verstanden. Bei Mikroorganismen ist eine erfolgreiche Besiedlung der Wirtspflanze für die Wirkeffizienz essenziell. Besonders die Anfangsphase der Besiedlung ist hier kritisch. Wirken in diesem Zeitraum Stressfaktoren, können diese die Besiedlung negativ beeinflussen und verhindern, dass die Mikroorganismen ihre potenziellen Schutzwirkungen entfalten können.
Viele der durch Biostimulanzien induzierten Stressanpassungen hängen auch von einer ausreichenden Versorgung mit Mikronährstoffen wie Zink, Mangan, Eisen und Kupfer ab. Deren Aufnahmekapazität durch die Wurzel ist unter Stressbedingungen, auch bei eigentlich ausreichenden Bodengehalten, oft stark eingeschränkt.
Ein unbestreitbarer Vorteil ist die weite Verbreitung der Fähigkeit zur Aktivierung von Stressanpassungen in allen bekannten Klassen von Biostimulanzien, was eine hohe Flexibilität bei der Entwicklung von Anwendungsstrategien mit sich bringt.
Fazit
Die prinzipiellen Wirkmechanismen von Pflanzen-Biostimulanzien sind in vielen Fällen schon gut untersucht. Allerdings besteht bei der Charakterisierung der Bedingungen, die eine erfolgreiche Anwendung mit reproduzierbaren Ergebnissen ermöglichen, oft noch umfassender Forschungs- und Informationsbedarf. Das gilt besonders für den Einsatz unter Feldbedingungen und umfasst folgende einflussnehmende Faktoren:
Die Kompatibilität mit unterschiedlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen und Standort- und Fruchtfolgeeffekten,
die Art- und Intensität des Düngungsmanagements,
pflanzenart- und sortenspezifische Präferenzen,
Interaktionen mit Bodenmikroorganismen sowie
das Nutzungspotenzial von komplementären bzw. synergistischen Eigenschaften bei Kombinationen unterschiedlicher Produkte.
Die Aufzählung verdeutlicht, wie herausfordernd die Entwicklung erfolgversprechender Anwendungsstrategien ist – Anwender sollten sich dem bei der Wirkungsbeurteilung bewusst sein.
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Unser Autor: Prof. Dr. Günter Neumann, Institut für Kulturpflanzenwissenschaften, Universität Hohenheim
Abiotischer Stress mindert weltweit das Ertragspotenzial aller wichtigen Kulturpflanzen um etwa 65 bis 80 % – wegen des Klimawandels mit steigender Tendenz. Am stärksten wirken sich Trockenheit und Hitze auf die Erntemengen aus. Außerdem begrenzen hohe Kosten für Betriebsmittel und rechtliche Einschränkungen bei Pflanzenschutz- und Düngemitteln die Ertragsniveaus.
Vor diesem Hintergrund werden immer häufiger sogenannte Biostimulanzien als Hoffnungsträger diskutiert. Sie eröffnen die Perspektive, durch eine verbesserte Stressresilienz der Pflanzen auch unter ungünstigeren Wachstumsbedingungen Erträge abzusichern.
Biostimulanzien sind als Nischenanwendungen zwar schon seit Langem bekannt, werden aber aktuell aufgrund der beschriebenen Herausforderungen mit zahlreichen neuen Produktentwicklungen verstärkt propagiert.
Schon heute stellt diese Produktgruppe einen Wachstumsmarkt mit weltweiten Umsätzen von derzeit etwa 3 Mrd. US-$ dar – die jährlichen Wachstumsraten belaufen sich auf 12 bis 15 %. Anwendungsschwerpunkte liegen in Europa und Nordamerika im Obst-, Gemüse- und zunehmend auch im Ackerbau (mit ähnlichen Anteilen).
Den Hauptanteil bilden dabei nichtmikrobielle Biostimulanzien, wie z. B. Aminosäuren/Peptide, Algen- und Pflanzenextrakte, Huminstoffe und auch anorganische Stoffe mit Schutzfunktionen wie Silizium oder Selen. Produkte auf Basis von Mikroorganismen hingegen tragen derzeit mit rund 25 % zum Marktanteil bei.
Die Präparate werden meist über Blattspritzungen angewendet. Aber auch Bodenapplikationen und kostengünstige Saatgutbehandlungen gewinnen an Bedeutung. Trotz der großen Vielfalt und oft komplexen Zusammensetzung der verschiedenen Biostimulanzienprodukte lassen sich doch gemeinsame Wirkprinzipien abgrenzen. Diese sind im Folgenden in Untergruppen zusammengefasst.
Eine gemeinsame Eigenschaft vieler nichtmikrobieller und mikrobieller Biostimulanzien ist die Fähigkeit, pflanzliche Anpassungen an abiotischen, oft aber auch an pathogenbedingten Stress, zu aktivieren.
Das breite Wirkspektrum liegt darin begründet, dass es im pflanzlichen Stoffwechsel viele Überlappungen der Signalwege für verschiedene Anpassungen an unterschiedliche Stressfaktoren gibt.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die sogenannten „freien Radikale“, die die Pflanzen als Nebenprodukte des Stoffwechsels unvermeidlich permanent bilden. Da diese sehr reaktionsfreudig sind, können sie Zell- und Membranschäden verursachen. Daher müssen sie kontinuierlich, z. B. durch die Produktion von Antioxidanzien oder spezielle Radikalfängerenzyme, entgiftet werden.
Mit Biostimulanzien kann man Pflanzen auf Stress vorbereiten.
Stressbedingungen führen in der Regel zu erhöhten Konzentrationen der freien Radikale, und viele sichtbare Schäden sind auf deren unzureichende Entgiftung zurückzuführen. Als primäre Signale für die Aktivierung der Entgiftungsmechanismen und auch für andere Stressanpassungen, wie z. B. erhöhter Verdunstungsschutz, Änderungen des Wachstumsverhaltens oder Einlagerung von Schutzsubstanzen, dienen zum einen die erhöhten Radikalkonzentrationen selbst und zum anderen Stoffwechselprodukte, die durch die Stresseinwirkung freigesetzt werden.
Auch bestimmte mikrobielle Stoffwechselprodukte oder deren Zellwandbestandteile haben Signalwirkung und zeigen so die Gegenwart eines möglichen Störfaktors an. Dies ermöglicht den Pflanzen, Schutzmaßnahmen zu aktivieren. Weiterhin sind an der Signalübertragung Pflanzenhormone und andere Signalstoffe, wie z. B. Signalpeptide, beteiligt.
Besonders effizient sind solche Stressanpassungen dann, wenn sie durch ein moderates, noch nicht direkt schädigendes Stressereignis voraktiviert wurden (Stresspriming). Im „Ernstfall“ ist dann eine schnelle Gegenreaktion möglich.
Genau an dieser Stelle setzen auch Biostimulanzien an: Bei den nichtmikrobiellen Produkten auf Basis von Extrakten pflanzlicher Gewebe und Inhaltsstoffe (z. B. Algen-/Pflanzen-/Kompostextrakte, Aminosäuren und Peptide) können bei der Extraktion auch die oben beschriebenen Signalsubstanzen freigesetzt werden.
Allerdings werden auch nützliche Mikroorganismen über ihre Signalstoffe zunächst als mögliche Bedrohung erkannt. Dies hat aber einen positiven Effekt, da es oft zur Aktivierung von Stressabwehrreaktionen führt, die systemisch nicht nur den Infektionsort, sondern auch andere Pflanzenorgane betreffen. Mikroorganismen können darüber hinaus aktiv pflanzliche Hormone produzieren oder den pflanzlichen Hormonstoffwechsel zur Stressanpassung indirekt beeinflussen.
Zwischenfazit: Zusammenfassend lassen sich Biostimulanzien dazu einsetzen, pflanzliche Stressanpassungen kontrolliert zu aktivieren, um die Pflanze auf mögliche Stressereignisse vorzubereiten. Dies zeigt auch der Versuch mit Winterweizen.
Eine weitere, weit verbreitete Eigenschaft von Biostimulanzien ist die Förderung der Wurzelentwicklung. Sie sorgt für eine verbesserte Aneignung von Nährstoffen und Wasser, womit viele der beobachteten Nutzeffekte zu erklären sind.
Der Hintergrund ist der, dass viele nützliche Mikroorganismen (aber auch Krankheitserreger) in der Lage sind, wurzelwachstumsfördernde Pflanzenhormone (insbesondere Auxine) zu produzieren. Darüber hinaus können sie den pflanzlichen Hormonstoffwechsel indirekt in Richtung Wurzelwachstumsförderung „programmieren“, wodurch sie für sich selbst neue Besiedlungsmöglichkeiten schaffen.
Auch nichtmikrobielle Biostimulanzien können wurzelwachstumsfördernde Pflanzenhormone, Signalpeptide oder hormonähnliche Stoffe enthalten. Weiterhin sind indirekte Auswirkungen der oben beschriebenen Schutzwirkung gegen Stress möglich. Im weitesten Sinne fallen auch Mykorrhizapilze in diese Funktionskategorie. Ihre feinen Pilzhyphen übernehmen für die Wurzeln die Aufgabe der Nährstoffaufnahme.
Neben den bisher beschriebenen weit verbreiteten Wirkungen in den verschiedenen Klassen von Biostimulanzien gibt es auch Wirkungen, die für einzelne Produktkategorien oder Produkte charakteristisch sind:
Mikrobielle Stickstoffbindung: Die zentrale Bedeutung bestimmter Bodenmikroorganismengruppen beim Umsatz von Stickstoff (N) und Phosphor (P) in Böden und damit für die Pflanzenverfügbarkeit dieser Nährstoffe erklärt das Interesse, derartige Mikroorganismen auch als Biostimulanzien einzusetzen.
So enthalten zahlreiche Produkte sogenannte diazotrophe Bakterien, die Luftstickstoff binden können. Sie sollen damit – ähnlich wie Knöllchenbakterien bei Leguminosen – dazu beitragen, die Stickstoffversorgung der Kulturen zu verbessern und Dünger einzusparen.
Allerdings haben zahlreiche Studien gezeigt, dass der direkte Beitrag solcher N-fixierenden Biostimulanzien zur N-Aneignung, z. B. von Getreidearten, unter den Klimabedingungen in Mitteleuropa zu vernachlässigen ist. Deutlichere Effekte ließen sich in tropischen und subtropischen Klimazonen besonders bei C4-Pflanzen wie Mais und Zuckerrohr finden.
Das dürfte mit einer besseren Kohlenstoffversorgung durch eine verstärkte Abgabe von Wurzelabscheidungen, interne Wurzelbesiedlung und intensiveren Umsatz von Kohlenstoffverbindungen im Boden in Zusammenhang stehen. Unter diesen Bedingungen können die diazotrophen Bakterien ihren vergleichsweise hohen Kohlenstoff- und Energiebedarf besser decken.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine neue Gruppe von Produkten auf Basis des stickstoffbindenden Bakteriums Methylobacterium symbioticum. Dies ist in der Lage, Blätter über die Spaltöffnungen zu besiedeln und ist so – im Gegensatz zu Bodenbakterien – auch für Blattspritzungen in geschlossenen Beständen geeignet. Erste Berichte über Einsparungen von 20 bis 30 % an Stickstoffdüngern stammen allerdings ebenfalls aus mediterranen und subtropischen Klimazonen.
Untersuchungen zur Höhe des direkten Beitrags der bakteriellen Stickstoffbindung zur N-Versorgung der Pflanze stehen bisher noch aus. Allerdings sind für Methylobakterien, ähnlich wie für diazotrophe Bodenbakterien, auch andere pflanzenwachstumsfördernde Wirkungen bekannt, die ebenfalls zur verbesserten Nährstoffaneignung beitragen könnten. Mit diesen lassen sich die beobachteten N-Einsparungen auch unabhängig von der direkten Luftstickstoffbindung erklären.
Phosphatmobilisierung: Bis zu 50 % der Bodenbakterien und 0,5 % der Bodenpilze sind in der Lage, schwer verfügbare Bodenphosphate zu mobilisieren. Sie bilden daher eine weitere wichtige Gruppe mikrobieller Biostimulanzien. Verschiedene neuere Übersichtsstudien zeigen jedoch zum einen, dass zumindest die Mobilisierung schwer löslicher mineralischer Phosphate (ähnlich wie bei der Luftstickstoffbindung), kaum einen direkten Beitrag für die Ernährung der Pflanze unter Feldbedingungen leisten kann.
Zum anderen zeigen sie, dass sich beobachtete Effekte eher über indirekte Wirkungen wie Stimulierung des Wurzelwachstums oder längerfristig über die Freisetzung von Phosphat aus abgestorbener mikrobieller Biomasse erklären lassen.
Förderung von Mikroorganismen: Für einige mikrobielle und auch nichtmikrobielle Biostimulanzien ist inzwischen eine zumindest temporäre Stimulierung nützlicher natürlicher Mikroorganismenpopulationen mit pflanzenwachstumsfördernder Wirkung nachgewiesen.
Die beobachteten Effekte sind aber schwer vorhersagbar, weil die jeweilige Wirkung stark von Standorteffekten bestimmt wird. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass sich alleine durch die Anwendung solcher Mikroorganismenstämme längerfristige Verbesserungen der Bodengesundheit über Förderung nützlicher Mikroorganismenpopulationen erreichen lassen. Hier sind integrierte Anwendungsstrategien erforderlich, die z. B. über angepasste Düngung, Humusaufbau und Fruchtfolgemanagement optimale Rahmenbedingungen für die Etablierung der betreffenden Mikroorganismenpopulationen schaffen.
Je besser die Wachstumsbedingungen, desto schwächer der Effekt.
Förderung von Stoffwechselprozessen: Für verschiedene Produkte (z. B. Huminstoffe, Peptide) wird auch eine selektive Förderung bestimmter Stoffwechselprozesse beschrieben. Das können z. B. eine erhöhte Photosyntheserate sowie die Stimulierung der Nährstoffaufnahme durch gezielte Aktivierung von Transportsystemen oder pflanzeneigenen Mechanismen zur Nährstoffmobilisierung sein.
Chancen und Risiken
Wie deutlich die Effekte einer Anwendung von Biostimulanzien ausfallen, bestimmen die genetischen Eigenschaften der Pflanze – und ihr aktueller physiologischer Status, der durch die jeweils vorherrschenden Umwelt- und Standortbedingungen beeinflusst wird. So sind unter optimalen Wachstumsbedingungen die Reaktionen allenfalls sehr schwach ausgeprägt.
Die Dosierung und die Wahl des Anwendungszeitpunkts von Biostimulanzien erfordert daher umfangreiche Erfahrungen. Bei Fehlanwendungen können durchaus auch negative Effekte auftreten – das gilt z. B. für Überdosierungen oder wenn die Pflanze den zusätzlichen Energieaufwand, den sie für die Induktion der Abwehrreaktionen aufbringen muss, nicht ausreichend decken kann. Hier kann es zur Konkurrenz mit der Ertragsbildung kommen.
Gerade bei den komplexen Extrakten natürlichen Ursprungs ist die Standardisierung der Zusammensetzung eine weitere große Herausforderung. Mögliche Interaktionen unterschiedlicher Inhaltsstoffe sind bis heute nur ansatzweise verstanden. Bei Mikroorganismen ist eine erfolgreiche Besiedlung der Wirtspflanze für die Wirkeffizienz essenziell. Besonders die Anfangsphase der Besiedlung ist hier kritisch. Wirken in diesem Zeitraum Stressfaktoren, können diese die Besiedlung negativ beeinflussen und verhindern, dass die Mikroorganismen ihre potenziellen Schutzwirkungen entfalten können.
Viele der durch Biostimulanzien induzierten Stressanpassungen hängen auch von einer ausreichenden Versorgung mit Mikronährstoffen wie Zink, Mangan, Eisen und Kupfer ab. Deren Aufnahmekapazität durch die Wurzel ist unter Stressbedingungen, auch bei eigentlich ausreichenden Bodengehalten, oft stark eingeschränkt.
Ein unbestreitbarer Vorteil ist die weite Verbreitung der Fähigkeit zur Aktivierung von Stressanpassungen in allen bekannten Klassen von Biostimulanzien, was eine hohe Flexibilität bei der Entwicklung von Anwendungsstrategien mit sich bringt.
Fazit
Die prinzipiellen Wirkmechanismen von Pflanzen-Biostimulanzien sind in vielen Fällen schon gut untersucht. Allerdings besteht bei der Charakterisierung der Bedingungen, die eine erfolgreiche Anwendung mit reproduzierbaren Ergebnissen ermöglichen, oft noch umfassender Forschungs- und Informationsbedarf. Das gilt besonders für den Einsatz unter Feldbedingungen und umfasst folgende einflussnehmende Faktoren:
Die Kompatibilität mit unterschiedlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen und Standort- und Fruchtfolgeeffekten,
die Art- und Intensität des Düngungsmanagements,
pflanzenart- und sortenspezifische Präferenzen,
Interaktionen mit Bodenmikroorganismen sowie
das Nutzungspotenzial von komplementären bzw. synergistischen Eigenschaften bei Kombinationen unterschiedlicher Produkte.
Die Aufzählung verdeutlicht, wie herausfordernd die Entwicklung erfolgversprechender Anwendungsstrategien ist – Anwender sollten sich dem bei der Wirkungsbeurteilung bewusst sein.