Rückbau von Gasnetzen: Massive Kritik an Habecks Vorschlag
Das Bundeswirtschaftsministerium hat ein „Green Paper“ vorgelegt, um das Gasverteilnetz stillzulegen oder auf Wasserstoff umzurüsten. Das würde auch klimafreundliches Biomethan ausbremsen.
In dieser Woche endete die Stellungnahmefrist für die Konsultation des Green Paper zur Transformation des deutschen Gasverteilnetzes.
Das Strategiepapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sieht eine weitgehende Stilllegung des Gasverteilnetzes sowie eine stellenweise Umwidmung des Netzes von Methan auf Wasserstoff vor. Die Chancen einer Umstellung von fossilem Methan auf erneuerbares Methan werden praktisch nicht betrachtet, kritisiert der Fachverband Biogas.
„In der aktuellen politischen Debatte wird der Bedarf und der Nutzen sowohl von erneuerbarem Methan wie auch von Gasverteilnetzen in Deutschland völlig unterschätzt. Während Ende 2022 von der Europäischen Union im Rahmen des REPowerEU-Plans ein klares Ausbauziele von 35 Milliarden Normkubikmeter Biomethan in 2030 formuliert wurde, zeigt sich das Wirtschaftsministerium von diesen EU-Vorgaben völlig unbeeindruckt“, so Horst Seide, Präsident des Fachverbandes Biogas.
Vorteile nicht ernst genommen
Laut Seide würde die Bedeutung des zukünftigen Verteilnetzes verkannt: „Auch bei zunehmender Elektrifizierung der Gebäudewärme und des Ausbaus der Fernwärme braucht man Verteilnetze für Back-Up-Kapazitäten, um längere Phasen mit geringer Wind- und Solarstromerzeugung sowie Verbrauchsspitzen in Wärmenetzen zu überbrücken.“
Daneben würden die vielen Vorteile und Potenziale einer Umstellung von Gasnetzen auf den Transport von erneuerbarem Methan nicht ernst genommen. Der Präsident verweist: „Für die saisonale Energiespeicherung und die Befeuerung von Gaskraftwerken und flexiblen KWK-Anlagen eignet sich erneuerbares Methan besser als Wasserstoff. Außerdem fällt bei der Biomethanproduktion klimaneutrales CO2 als Koppelprodukt an, das zur Defossilisierung von Produktionsprozessen, für die Produktion von synthetischem Methan oder für Negativemissionen verwendet werden kann.“
Noch viel Potenzial
Durch die Erschließung weiterer Substrate, die in keiner zusätzlichen Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion stehen, die Umrüstung von Bestandsanlagen sowie die Produktion von synthetischem Methan kann auch in Deutschland die Einspeisung von erneuerbarem Methan gegenüber heute auf ein Vielfaches gesteigert werden.
Gasnetz bleibt wichtig
Inwiefern es für bestimmte Teile des Gasverteilnetzes möglich und sinnvoll ist, Erdgas durch erneuerbares Methan zu ersetzen, müsse sowohl vor Ort entschieden werden – im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung – als auch im Einklang mit einer übergeordneten Netzplanung, die auf die jeweiligen Wärmepläne aufbaut. Der Erhalt von bestehenden Fernleitungsnetzen für den Transport von erneuerbarem Methan sei in jedem Fall notwendig, um überregionale Bedarfe zu decken, Importe und Transite zu realisieren und die Speicherkapazität des Gasnetzes zu nutzen.
Diese und weitere Anmerkungen zum Green Paper des BMWK sind auch in einer Stellungnahme auf der Homepage des Fachverbandes nachzulesen.
Auch Gaswirtschaft dagegen
In ihren Vorschlägen zum Umbau des deutschen Gasverteilnetzes geht die Bundesregierung auch nach Auffassung des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) zu einseitig vor. „Nicht die Stilllegung der dringend für die Energiewende benötigten Gasinfrastruktur sollte im Mittelpunkt der Diskussion stehen, sondern deren Weiterentwicklung zur Klimaneutralität“, fordert Prof. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW.
Bei der Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens seien die Gasverteilnetze im klimaneutralen Energiesystem von zentraler Bedeutung. Das BMWK dagegen misst den Gasverteilnetzen in diesem Kontext eine untergeordnete Bedeutung bei. Nicht ausreichend betrachtet wird im Green Paper nach Auffassung des DVGW der Dreiklang von Umnutzung, Stilllegung und partiellem Neubau in der Transformation.
Ebenso fehlt eine differenzierte Betrachtung der durch die Gasverteilnetze versorgten Kundengruppen. „Wo notwendig, wird es selbstverständlich auch Stilllegungen einzelner Gas-Hausanschlüsse geben. Das gesamte Verteilnetz aber ist – so wie das Wasserstoff-Kernnetz – eine Grundvoraussetzung, Wasserstoff überhaupt nutzen zu können“, differenziert DVGW-Chef Linke.
Sein Fazit: „Wir teilen die politisch einseitigen Grundprämissen des BMWK daher ausdrücklich nicht und fordern Minister Habeck auf, eine politische Neubewertung der Rolle der Gasverteilnetze für die Energiewende vorzunehmen. Die Rolle der Gasnetze zur Versorgung von Kraftwerken etwa ist von entscheidender Bedeutung. 83 % der Kraftwerksleistung in Höhe von 62 Gigawatt (GW) liegen im Bereich des Gasverteilnetzes.“
Neue Studie
Die DBI-Gruppe, eine Unternehmensgruppe im DVGW, hat im Auftrag des DVGW 70.459 Kraftwerksstandorte mit einer gesamten installierten Leistung von 82 Gigawatt (GW) analysiert und untersucht, ob diese nach einer Umrüstung über das Fernleitungsnetz, das H2-Kernnetz oder das Gasverteilnetz versorgt würden.
Die Studienergebnisse zeigen, dass das Gasverteilnetz selbst bei einem ausgeprägterem H2-Kernnetz weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung der Energieversorgung spielen wird – sowohl bei der Strom- als auch der Wärmeerzeugung. Denn eine Vielzahl der Kraftwerkstandorte vor allem kleinerer Kraftwerksblöcke und BHKW sind über einen Kilometer vom Fernleitungsnetz sowie vom geplanten H2-Kernnetz entfernt und werden über Gasverteilnetze versorgt.
Für die Versorgungssicherheit in Deutschland müssten die Gasverteilnetze laut DBI deshalb erhalten bleiben, wenn die Strom- und Teile der Wärmegewinnung über die aktuellen Kraftwerkstandorte weiter abgedeckt werden sollen.
Die Verteilnetze müssen außerdem mittelfristig zu H₂-Verteilnetzen umgerüstet werden, um eine klimaneutrale, von Umwelteinflüssen unabhängige Energieversorgung sicherzustellen. Für die Bereitstellung großer Energiemengen ist es zudem notwendig, das aktuell geplante H₂ -Kernnetz zu erweitern, um die Mehrheit der großen Kraftwerksstandorte ausreichend versorgen zu können.
Zum Weiterlesen
Es gibt nützliche Links mit weiteren Informationen:
Factsheet „Bedeutung der Gasnetze für die Versorgung von Kraftwerken: Warum das Verteilnetz für die Energieversorgung essenziell bleibt und das geplante Wasserstoff-Kernnetz nicht ausreicht"
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In dieser Woche endete die Stellungnahmefrist für die Konsultation des Green Paper zur Transformation des deutschen Gasverteilnetzes.
Das Strategiepapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sieht eine weitgehende Stilllegung des Gasverteilnetzes sowie eine stellenweise Umwidmung des Netzes von Methan auf Wasserstoff vor. Die Chancen einer Umstellung von fossilem Methan auf erneuerbares Methan werden praktisch nicht betrachtet, kritisiert der Fachverband Biogas.
„In der aktuellen politischen Debatte wird der Bedarf und der Nutzen sowohl von erneuerbarem Methan wie auch von Gasverteilnetzen in Deutschland völlig unterschätzt. Während Ende 2022 von der Europäischen Union im Rahmen des REPowerEU-Plans ein klares Ausbauziele von 35 Milliarden Normkubikmeter Biomethan in 2030 formuliert wurde, zeigt sich das Wirtschaftsministerium von diesen EU-Vorgaben völlig unbeeindruckt“, so Horst Seide, Präsident des Fachverbandes Biogas.
Vorteile nicht ernst genommen
Laut Seide würde die Bedeutung des zukünftigen Verteilnetzes verkannt: „Auch bei zunehmender Elektrifizierung der Gebäudewärme und des Ausbaus der Fernwärme braucht man Verteilnetze für Back-Up-Kapazitäten, um längere Phasen mit geringer Wind- und Solarstromerzeugung sowie Verbrauchsspitzen in Wärmenetzen zu überbrücken.“
Daneben würden die vielen Vorteile und Potenziale einer Umstellung von Gasnetzen auf den Transport von erneuerbarem Methan nicht ernst genommen. Der Präsident verweist: „Für die saisonale Energiespeicherung und die Befeuerung von Gaskraftwerken und flexiblen KWK-Anlagen eignet sich erneuerbares Methan besser als Wasserstoff. Außerdem fällt bei der Biomethanproduktion klimaneutrales CO2 als Koppelprodukt an, das zur Defossilisierung von Produktionsprozessen, für die Produktion von synthetischem Methan oder für Negativemissionen verwendet werden kann.“
Noch viel Potenzial
Durch die Erschließung weiterer Substrate, die in keiner zusätzlichen Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion stehen, die Umrüstung von Bestandsanlagen sowie die Produktion von synthetischem Methan kann auch in Deutschland die Einspeisung von erneuerbarem Methan gegenüber heute auf ein Vielfaches gesteigert werden.
Gasnetz bleibt wichtig
Inwiefern es für bestimmte Teile des Gasverteilnetzes möglich und sinnvoll ist, Erdgas durch erneuerbares Methan zu ersetzen, müsse sowohl vor Ort entschieden werden – im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung – als auch im Einklang mit einer übergeordneten Netzplanung, die auf die jeweiligen Wärmepläne aufbaut. Der Erhalt von bestehenden Fernleitungsnetzen für den Transport von erneuerbarem Methan sei in jedem Fall notwendig, um überregionale Bedarfe zu decken, Importe und Transite zu realisieren und die Speicherkapazität des Gasnetzes zu nutzen.
Diese und weitere Anmerkungen zum Green Paper des BMWK sind auch in einer Stellungnahme auf der Homepage des Fachverbandes nachzulesen.
Auch Gaswirtschaft dagegen
In ihren Vorschlägen zum Umbau des deutschen Gasverteilnetzes geht die Bundesregierung auch nach Auffassung des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) zu einseitig vor. „Nicht die Stilllegung der dringend für die Energiewende benötigten Gasinfrastruktur sollte im Mittelpunkt der Diskussion stehen, sondern deren Weiterentwicklung zur Klimaneutralität“, fordert Prof. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW.
Bei der Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens seien die Gasverteilnetze im klimaneutralen Energiesystem von zentraler Bedeutung. Das BMWK dagegen misst den Gasverteilnetzen in diesem Kontext eine untergeordnete Bedeutung bei. Nicht ausreichend betrachtet wird im Green Paper nach Auffassung des DVGW der Dreiklang von Umnutzung, Stilllegung und partiellem Neubau in der Transformation.
Ebenso fehlt eine differenzierte Betrachtung der durch die Gasverteilnetze versorgten Kundengruppen. „Wo notwendig, wird es selbstverständlich auch Stilllegungen einzelner Gas-Hausanschlüsse geben. Das gesamte Verteilnetz aber ist – so wie das Wasserstoff-Kernnetz – eine Grundvoraussetzung, Wasserstoff überhaupt nutzen zu können“, differenziert DVGW-Chef Linke.
Sein Fazit: „Wir teilen die politisch einseitigen Grundprämissen des BMWK daher ausdrücklich nicht und fordern Minister Habeck auf, eine politische Neubewertung der Rolle der Gasverteilnetze für die Energiewende vorzunehmen. Die Rolle der Gasnetze zur Versorgung von Kraftwerken etwa ist von entscheidender Bedeutung. 83 % der Kraftwerksleistung in Höhe von 62 Gigawatt (GW) liegen im Bereich des Gasverteilnetzes.“
Neue Studie
Die DBI-Gruppe, eine Unternehmensgruppe im DVGW, hat im Auftrag des DVGW 70.459 Kraftwerksstandorte mit einer gesamten installierten Leistung von 82 Gigawatt (GW) analysiert und untersucht, ob diese nach einer Umrüstung über das Fernleitungsnetz, das H2-Kernnetz oder das Gasverteilnetz versorgt würden.
Die Studienergebnisse zeigen, dass das Gasverteilnetz selbst bei einem ausgeprägterem H2-Kernnetz weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung der Energieversorgung spielen wird – sowohl bei der Strom- als auch der Wärmeerzeugung. Denn eine Vielzahl der Kraftwerkstandorte vor allem kleinerer Kraftwerksblöcke und BHKW sind über einen Kilometer vom Fernleitungsnetz sowie vom geplanten H2-Kernnetz entfernt und werden über Gasverteilnetze versorgt.
Für die Versorgungssicherheit in Deutschland müssten die Gasverteilnetze laut DBI deshalb erhalten bleiben, wenn die Strom- und Teile der Wärmegewinnung über die aktuellen Kraftwerkstandorte weiter abgedeckt werden sollen.
Die Verteilnetze müssen außerdem mittelfristig zu H₂-Verteilnetzen umgerüstet werden, um eine klimaneutrale, von Umwelteinflüssen unabhängige Energieversorgung sicherzustellen. Für die Bereitstellung großer Energiemengen ist es zudem notwendig, das aktuell geplante H₂ -Kernnetz zu erweitern, um die Mehrheit der großen Kraftwerksstandorte ausreichend versorgen zu können.
Zum Weiterlesen
Es gibt nützliche Links mit weiteren Informationen:
Factsheet „Bedeutung der Gasnetze für die Versorgung von Kraftwerken: Warum das Verteilnetz für die Energieversorgung essenziell bleibt und das geplante Wasserstoff-Kernnetz nicht ausreicht"
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