Nachdem die Bundesregierung in den vergangenen Tagen bereits erste Duftmarken über ihren künftigen Kurs gesetzt hatte, startete auch der Deutsche Bauernverband am Dienstagabend mit seinem agrarpolitischen Jahresauftakt ins Jahr 2022.
Lemke und Özdemir demonstrieren Geschlossenheit für Kurswechsel in Agrarpolitik (18.1.2022)
Ampelkoalition will Paket zum Umbau der Tierhaltung (18.1.2022)
Lemke will Pflanzenschutzmitteleinträge in Naturschutzgebiete unterbinden (17.1.2022)
Özdemir verspricht, dass mehr Geld bei der Landwirtschaft ankommt (14.1.2022)
Im Studio der digital übertragenen Runde begrüßte DBV-Präsident Joachim Rukwied Bundesagrarminister Cem Özdemir. Nach ihren beiden Statements folgte eine Talkrunde mit prominenten Vertretern der Fraktionen im Bundestag. Wir fassen die wichtigsten Aussagen zusammen.
Joachim Rukwied stellte eingangs klar, dass vieles in Zukunft nicht mehr so sein wird, wie es mal war. Die Betriebe müssten nun mit den Veränderungen leben. Es gelte nun, die Tierhaltung und das Tierwohl nach vorn zu bringen. Auch auf den Feldern müssten die Bauern noch nachhaltiger wirtschaften. Den Weg dieses Transformationsprozesses, festgehalten in den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), trage der DBV mit.
„Es gilt jetzt anzupacken, Dinge auf den Weg zu bringen, Dinge zu verändern“, sagte Rukwied. Am Ende dieses Veränderungsprozesses müssten Betriebe und eine junge Generation stehen, die Zukunftsperspektiven sehen. Der Bauernvertreter wiederholte in dem Zuge seine Forderung nach 4 Mrd. € Umbauförderung pro Jahr für die Branche. Dieser Finanztopf müsse jetzt geschaffen werden. „Die Bauern brauchen Verlässlichkeit für mindestens 20 Jahre“, so Rukwied. Es gelte zu verhindern, dass die Erzeugung abwandert.
„Lassen Sie uns gemeinsam die Landwirtschaft weiterentwickeln“, rief er den Zuschauern zu. Die Tür stehe offen, das Zeitfenster sei da. „Es steht aber nicht unbegrenzt offen, wir müssen die Zeit jetzt nutzen, das muss unser gemeinsamer Ansatz sein!“
Özdemir: Jetzt Umweltschutz und Landwirtschaft unter einen Hut bringen
Cem Özdemir machte in seiner Rede direkt eingangs klar, warum jetzt die Zeit für tiefgreifende Veränderungen gekommen ist. „Das Agrarsystem, wie wir es kennen, steckt in einer tiefen Krise“, sagte der Grünen-Politiker. Für ihn ist es nicht mehr zukunftsfähig – ökologisch, ökonomisch und sozial, schon gar nicht, wenn zu Lasten zukünftiger Generationen gewirtschaftet werde.
Die neue Regierung will die Selbstbestimmung der Landwirte stärken. Sie sollen keine Franchisefiliale sein, wo alles vorgegeben wird. „Landwirtschaft ist kein einzelner Arbeitsschritt, sondern die Verknüpfung unternehmerischer Schritte in ökologischer, tierethischer und sozialer Verantwortung. Landwirtschaft enthält ja nicht umsonst das Wort WIRTSCHAFT.“
Özedemir hob die Bedeutung für den ländlichen Raum hervor, Landwirtschaft führe zu lebendigen Regionen und stärke den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Özdemir sicherte zu, keine Politik der altklugen Stimme machen zu wollen. „Zuhören und Anpacken muss jetzt das Motto sein.“ Landwirte seien für ihn Fachleute, sie bräuchten jetzt Planungssicherheit.
Die kommende Regierungsarbeit fasste er in drei Schwerpunkte zusammen: Mehr Umwelt- und Klimaschutz, wirtschaftliche Perspektiven schaffen und mehr Wertschätzung für Bauern erreichen. Die ZKL und das Kompetenznetzwerk Tierhaltung hätten gute Vorschläge zur Umsetzung gemacht und aufgezeigt, wie die Transformation gelingen kann.
Der neue Minister will das zügig angehen und dabei den Blick auch auf das gesamte Ernährungssystem legen. „Ohne Änderung der Ernährungsstile und des Verbraucherverhaltens wird der Wandel nicht möglich sein.“ Jetzt sei die Zeit reif, Umweltschutz und Landwirtschaft unter einen Hut zu bringen. In Deutschland gebe es da kein Erkenntnisproblem, sondern ein Entscheidungsproblem.
Weiter sprach Özdemir die Pläne der Grünen für eine Moorschutzstrategie, den Waldumbau, einen gezielten Humusaufbau und gezielte regionale Kreisläufe an. Die 30 % Ökolandbau bis 2030 will er nicht nur in der Fläche erreichen, sondern auch im Supermarktregal. Es gebe dann immer noch 70 % konventionelle Landwirte. Weniger Dünger und Pestizide sind aber ein generelles Ziel. „Ich will der Minister aller Bauern sein, egal ob groß oder klein“, betonte der Redner.
Wer Tiere hält, habe die Pflicht, sie bestmöglich zu schützen. Bisher habe man die Tiere an die Ställe angepasst. Dazu kamen die Belastungen für Boden, Wasser und das Klima. „Das geht so nicht weiter“, stellte Özdemir klar. Er will bekanntlich die Tierzahl an die Fläche binden und eine transparente, verbindliche Herkunftskennzeichnung einführen. Der Umbau könne aber nicht auf Kosten der Landwirtschaft gehen. Laut dem Politiker müsse die Politik auf Kosten der Menschen in der Landwirtschaft ein Ende haben.
Seine Devise: „Statt höher, schneller weiter heißt es künftig besser, gesünder und miteinander.“ Die neue Regierung will die Landwirtschaft auf eine breite gesellschaftliche Basis stellen. Auch die Kinder sollen künftig noch Spaß an dem Beruf haben. Daher gelte es, die Leistungen der Betriebe finanziell zu unterstützen.
Dr. Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Fraktion
Der SPD-Politiker hält Wertschätzung und Respekt gegenüber den Bauern als wichtige Klammer für die Zukunft. Auch ihm ist die Bedeutung der Planungssicherheit bewusst. Seine Fraktion werde darauf achten, dass das Bundesagrar- und das Bundesumweltministerium künftig noch enger zusammenarbeiten. Dass die klare ökonomische Orientierung dabei nicht aus den Augen gerät, sei den Politikern inzwischen bewusst. Ebenso seien der SPD die Borchert- und ZKL-Empfehlungen sehr wichtig. Die junge Generation der Bauern werde die fest eingefahrenen Pfade verlassen. „Wir müssen uns genau anschauen, was heute nicht so gut funktioniert.“
Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion
Der Politiker Brinkhaus sieht den Mittelstand von zwei Seiten unter Druck, vom internationalen Wettbewerb und von den Vorstellungen der Verbraucher. Er dürfe keinesfalls untergehen, schon jetzt sei der Selbstversorgungsgrad in Deutschland sehr gering, wir seien abhängig von Lieferketten. „Landwirtschaft betrifft am Ende alle“, so Brinkhaus am Dienstag.
Er weiß, dass Tierwohl Geld kostet und dieses bisher nicht bei den Landwirten ankommt, sondern oft in den Handelsstufen hängenbleibt. „Da müssen wir mit Ordnungspolitik eingreifen und mehr Tierwohl erstatten.“ Brinkhaus hält es aber für unerlässlich, dass EU-weit gleiche Regeln gelten, um kein Ungleichgewicht beim Wettbewerb entstehen zu lassen. „Wir brauchen eine vernünftige Handelspolitik, sehen aber auch die Bedenken der Bauern.“
Britta Haßelmann, Vorsitzende Fraktion von Bündnis90/Die Grünen
Die Grünenpolitikerin betonte, dass jetzt mehrere Ziele in Einklang gebracht werden müssten: Umwelt, Klima, Tierschutz, Verbraucherinteressen und die wirtschaftlichen Interessen der Bauern. Bisher sei dies stets gegensätzlich diskutiert worden, künftig soll es Hand in Hand gehen. Ziel müssten nationale und europäische Leitlinien sein. Bis es diese EU-weiten Standards gibt, müsste Deutschland schon einmal voran gehen.
Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Fraktion
Der Liberale verwies auf die bekannte Regel, dass Investitionen nur getätigt werden, wenn sie wirtschaftlich sind, man also damit Geld verdienen kann. Fortschritte beim Tierschutz ließen sich darüber hinaus ganz einfach erreichen, wenn die Bürokratie abnimmt.
Dennoch gibt auch Dürr zu, dass es auch in Zukunft einen Strukturwandel geben wird. Es gelte dabei aber, die Produktion in Deutschland zu halten. „Landwirtschaft muss international vernetzt bleiben und wir müssen auch Exporte haben“, betont der FDP-Fraktionsvorsitzende. Der Digitalisierung misst er dabei einen hohen Stellenwert zu, weil sie u.a. beim Klimaschutz enorm unterstützen kann. Die Agrarbranche sei da schon sehr sehr weit, es sei der Staat, der noch Aufholbedarf habe.
Amira Mohammed Ali, Vorsitzende der Fraktion Die Linke
Die Linken-Politikerin Mohammed Ali sprach erwartungsgemäß die sozialen Faktoren an. So werden ihrer Ansicht nach kleine und mittelständische Betriebe von Großmolkereien, Großschlachtereien und dem Handel unterdrückt. „Landwirte müssen wieder auf Augenhöhe verhandeln können“, so ihre Forderung. Außerdem wünscht sie sich einen Stopp des Verkaufs von Waren unter Produktionskosten.
Eine Anhebung der Lebensmittelpreise, wodurch die Bauern mehr erlösen, hält sie als ersten Schritt für falsch. Denn trotz Niedrigstpreisen würden die Konzerne aktuell immer noch Milliardengewinne einfahren. Hier müsse die Politik ansetzen, und dieses Geld mehr zu den Erzeugern lenken. Weitere Wünsche der Linken sind der Aufbau regionaler Strukturen, ein Stopp der großen Freihandelsabkommen mit Mercosur und Maßnahmen gegen Verkauf und Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen an außerlandwirtschaftliche Investoren und große Unternehmen. „Hohe Bodenpreise verdrängen die Landwirte von ihrem Land“, stellte Mohammed Ali klar.
Artur Auernhammer von der CSU-Landesgruppe
Der Bayer betonte mehrfach, dass die Landwirtschaft in seinem Bundesland alles könne, aber anders und vor allem kleiner sei. Auch er wünscht sich Planungssicherheit und gibt zu, dass die letzte Regierung da die ein oder andere Diskussion hatte, u.a. beim Baurecht. Hier seien kurzfristig Lösungen wichtig. Für ihn bleibt die Ernährung der Bevölkerung wichtigste Aufgabe der Landwirtschaft.
Stephan Protschka, Agrarsprecher der AfD
Die AfD ist bekanntlich gegen die EU und würde die Agrarpolitik wieder in die Hände der Nationalstaaten legen. Für ihn ist die Landwirtschaft der Grundpfeiler des Wohlstandes. Auch Protschka hält eine Herkunftskennzeichnung für sehr wichtig. Bestimmte Handelsabkommen würde er auf den Prüfstand stellen, ob sie sinnvoll sind.
Der Bayer stellte im Übrigen nebenbei klar, dass er nicht den Klimawandel an sich anzweifele, sondern die Aussage, dass dieser vom Menschen beeinflusst sei. Natürlich müssten sich die Bauern jetzt auf den Klimawandel einstellen. Die Politik generell müsse nach dem Prinzip „Mehr Anreize, weniger Verbote“ arbeiten.
Dr. Matthias Miersch, stellv. Fraktionsvorsitzender der SPD
Miersch sprach eine weitere interessante Sichtweise an: So gelte es jetzt, das Grundwasser zu schützen, Tierwohl zu erhöhen u.v.m., das seien alles Themen, die keinen ökonomischen Wert haben, damit könne man auf dem Markt kein Geld verdienen. Dennoch müssten sie jetzt angegangen werden. Bisher war es so, dass hohe ökologische Standards als Handelshemmnisse galten. Hier sei ein Paradigmenwechsel nötig. In Zukunft gilt, höhere ökologische Standards ist das, was wir wollen.
Steffen Bilger, stellv. Fraktionsvorsitzender der CDU
Der CDU-Politiker wurde von der Moderation mit dem Zitat eingeleitet, dass die Agrarpolitik unter der Ampelkoalition zu einem Anhängsel der Naturschutzpolitik zu werden droht. Diese Sorge bestätigt Bilger. Er berichtete zudem über einen Antrag der Union auf Einführung einer nationalen Marketingagentur.