Ziel erreicht: Die Referenten des digitalen Scheunengesprächs von top agrar konnten Künstliche Intelligenz (KI) in der Landwirtschaft ein Stück weit entzaubern. Es wurde deutlich: Nicht überall brauchen digitale Lösungen im Stall und auf dem Acker zwangsläufig KI. Aber sie ist immer dann von unschätzbarem Wert, wenn z. B. bei der Tierbeobachtung von 40.000 Hühnern oder beim autonomen Fahren auf dem Acker extrem viele verschiedene Aspekte wahrzunehmen und zu beachten sind.
Hype oder echte Unterstützung?
Am Mittwoch vergangener Woche lud top agrar zum Scheunengespräch rund um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in der Landwirtschaft. Auf der digitalen Konferenz, die von der Landwirtschaftlichen Rentenbank unterstützt wurde, diskutierten Praktiker mit Forschern und Gründern über den konkreten Nutzen von KI für den landwirtschaftlichen Alltag.
In ihrem Grußwort hob Nikola Steinbock, Vorstandssprecherin der Landwirtschaftlichen Rentenbank, hervor: „Bill Gates bezeichnete das Internet einst als Hype. Heute hat es die ganze Welt verändert. Bei der KI sehe ich ähnliche Potenziale – sie wird schon jetzt nicht mehr wegzudenken sein.“ Dennoch sei es wichtig zu fragen: Wo ist KI nützlich? Und wo kann sie nur begrenzt helfen?
KI – schon längst in der Praxis
Prof. Dr. Joachim Hertzberg und Dr. Henning Müller vom Deutschen Forschungszentrum für KI (DFKI) stellten einführend fest: „KI ist in der Landwirtschaft schon seit Langem in der Praxis angekommen.“ Die KI-Experten gaben einen Überblick zu den bereits bestehenden Anwendungsbereichen: Von Monitoring der Maschinenfunktionalität und Verschleißalarm über autonome Fahrzeuge bis zur Tierwohl-Optimierung durch VetVise reicht das Spektrum der Anwendungen.
Entscheidend wird sein, wie man die Kompetenzen von KI in einen Nutzen für die Landwirtschaft münzt: KI kann z. B. Nutzpflanze von Unkraut sowie Unkraut von Beikraut unterscheiden. Wer das weiterdenkt, kommt auf die Idee, dass hier großes Potenzial für die Förderung von Biodiversität auf dem Acker besteht. Schließlich könnten entsprechend ausgestattete Maschinen jede Einzelpflanze individuell behandeln. Ein Beikraut, das der Hauptfrucht nicht schadet, darf ruhig stehen bleiben. Ein schädliches Unkraut kommt weg.
Tatsächlich fiel es den Teilnehmern gar nicht so leicht, KI einheitlich zu definieren. Aber einig waren sich alle, dass KI für die Wahrnehmung der Umgebung, Eingaben von Nutzern oder Daten wie z. B. Kameraaufnahmen braucht. Diese Informationen aus dem Umfeld interpretiert sie und leitet daraus Handlungsempfehlungen ab. Ähnlich wie bei der Mathematik sei KI ein Sammelbegriff für viele Methoden, so die DFKI-Experten. Nur, dass es sich nicht um Lineare Algebra oder Statistik, sondern um Teildisziplinen wie Machine Learning, Deep Learning oder Bilderkennung handelt.
KI in der Tierhaltung
Im Schweinestall kann die KI mittels Tierüberwachung beginnende Geburten erkennen, den Verlauf aufzeichnen, die Ferkelgesundheit dokumentieren oder Täter und Opfer beim Schwanzbeißen ausmachen. „Zukünftig wird nicht nur das Tier selbst verkauft, sondern zu jedem Tier ein Datenrucksack“, sagte Dr. Müller und fügte hinzu: „So kann der Landwirt belegen, dass er alles im Sinne des Tierwohls getan hat.“
Der VetVise-Gründer und Tierarzt Johannes Schmidt-Mosig betonte in seinem Kurzvortrag den Mehrwert von KI im Stall: „Menschen brauchen ein paar Tage länger als die KI, bis sie ein Problem am Tier erkennen.“ Sein Unternehmen installiert Kameras in Schweine- und Geflügelställen und kann aufgrund des gefilmten Tierverhaltens feststellen, wie es den Tieren geht. Die Landwirte erhalten täglich konkrete Empfehlungen, welche Einstellungen sie an der Stalltechnik ändern sollten, damit die Tiere bestmöglich versorgt sind. Tierhalter, die Probleme im Stall auch dank der Technik frühzeitig erkennen könnten Tiergesundheit und Produktivität steigern, so sein Versprechen. Kosten fallen für die Installation der Technik und für eine Betreuungspauschale an. In der Geflügelhaltung sind das pro Tierplatz und Monat beispielsweise 0,5 bis 2,5 Cent. Wie rechtfertigt Schmidt-Mosig den Preis? Die höhere Futterverwertung, der geringere Gas- und Stromverbrauch durch eine angepasste Lüftung und sinkende Tierarztkosten sind einige positive Effekte der Überwachung.
Landwirte sollten sich als mündige Unternehmer bewusst für oder gegen KI-Technologien entscheiden. Dafür ist ein Grundverständnis nötig.“
Doch bevor sich ein Landwirt für das Investment in die komplexe Technologie entscheidet, sollte er Henning Müller zufolge gut wissen, in was er sein Geld steckt - und ob er das für den Betrieb wirklich braucht. „Als Unternehmer sollte man sich nicht künstlich begrenzen und aus einfachen Produkten hochkomplexe machen wollen - die dann unbezahlbar sind“, so Müller. Wichtig sei das, was ein Produkt am Ende können soll und nicht, ob darin KI stecke oder nicht. „KI klingt natürlich verheißungsvoll. Gefühlt laufen ab morgen überall KI-Systeme. Aber ich zweifle stark an. Wir müssen gucken, wo solche Maschinen überhaupt praktikabel einsetzbar sind.“
Anders sehen das Lars Schmitz und Philipp Kamps vom niederländischen Robotik-Unternehmen AgXeed. KI treibe zwar die Preise hoch. Doch Schmitz betont: „In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird es keinen Roboter mehr geben, der ohne KI läuft. Das wird Massenware.“ Die Gründer von AgXeed entwickeln einen autonomen Schlepper. Ein Knackpunkt sei die Hinderniserkennung und tatsächliche Identifizierung der störenden Objekte. Hier werde es ohne KI nicht gehen.
Kosten auf dem Feld sparen
Im Gemüsebau kann Robotik dabei helfen, möglichst viele Erntegänge auf einer Fläche zu realisieren und so jede Pflanze im Optimum zu ernten. Das erklärte am Mittwochabend Josef Franko. Er ist Gründer des Unternehmens AI.Land, das sich auf Feldroboter spezialisiert hat. Franko führte aus, dass etwa die 10 bis 20 % Ertragsverluste, die durch das Wetter und das ungleiche Wachstum der Einzelpflanzen bedingt sind, vermeidbar seien.
Der Unternehmer beleuchtete außerdem den Einsatz von KI im Ackerbau und die Potenziale zur Effizienzsteigerung. „Dass wir Chemie einsparen, ist wichtig. Durch gezieltes Ausbringen von Mitteln können Landwirte rund 80% weniger verbrauchen.“. So soll KI also nicht nur der Geldbeutel schonen, sondern auch ökologisch sinnvoll sein.
Als vierter Redner betonte Michael Romer von LV Digital die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Technologieanbietern. „Die Technologie ist nur so gut, wie ihre Umsetzung auf dem Feld.“, sagte er.
Romer entwickelt einen virtuellen Assistenten für die Büroarbeit: AgriGPT. Dieser sollin Zukunft Kundengespräche übernehmen, Termine ausmachen oder E-Mails beantworten können. Denn welcher Landwirt hat schon Zeit und Lust auf Büroarbeit? Die Teilnehmer des Scheunengesprächs jedenfalls nicht. Dort fand die Idee viel Zuspruch, die derzeit allerdings noch in der Testphase steckt. Ob daraus wirklich ein Geschäftsmodell entstehen könne, daran zweifelte der ein oder andere mitdiskutierende Landwirt.