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Sind Biostimulanzien eine Alternative zum chemischen Pflanzenschutz?

Mehr Wetterextreme, weniger Pflanzenschutz und mehr Auflagen – der Ackerbau steht vor enormen Herausforderungen. Können Pflanzen-Biostimulanzien einen Beitrag zur Lösung leisten?

Lesezeit: 8 Minuten

Das Wort „Biostimulanzien“ ist zurzeit in aller Munde. Die neue Produktgruppe gilt für viele als Hoffnungsträger, wenn es um die Ertragssicherheit unserer Ackerkulturen geht. Nachfolgend zeigen wir, welches Ausmaß die Herausforderungen im Ackerbau mittlerweile angenommen haben und ­berichten, an welchen Stellen Pflanzen-Biostimulanzien ins Spiel kommen könnten.

Klimawandel bedroht ­ die Ernten

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Hautnah erlebte jeder die lange Trockenperiode mit Hitzerekorden von über 40 °C in diesem Jahr, die insbesondere den Sommerungen zu schaffen machte. Während sich bei Wintergetreide und Raps in vielen Regionen noch sehr hohe Erträge ernten ließen, litten Mais, Kartoffeln und Rüben gebietsweise extrem.

Dass dabei auch die Oberböden stark austrockneten, berichtete der Deutsche Wetterdienst (DWD). So lag die nutzbare Feldkapazität (nFK) im Juni 2022 nur bei 39 % in 0 bis 60 cm Tiefe. Das sind laut DWD 21 % nFK weniger als im Mittel des Vergleichszeitraums 1991 bis 2020 (60 % nFK). Im Durchschnitt der einzelnen Bundesländer reichte die Bodenfeuchte von 25 % in Berlin bis 56 % in Bayern.

Diese Extreme, die in Deutschland in ähnlicher Form bereits 2018 bis 2020 auftraten, werden laut dem sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC vom Mai diesen Jahres in Zukunft noch verstärkt auftreten, weil die Treibhausgasemissionen momentan weltweit sogar noch steigen – und das trotz der bisherigen Klimaschutzanstrengungen.

Nur mit tief greifenden Treibhausgasminderungen in allen Weltregionen und in ­allen Sektoren könne man die globale Erwärmung entsprechend des Pariser Klimaabkommens von 2019 noch auf 1,5 °C bis zum Jahr 2100 begrenzen. Der IPCC-Bericht weist im übrigen auch darauf hin, dass die Erwärmung, die neben Hitzewellen auch zu mehr Starkregenfällen und Wirbelstürmen führen wird, eindeutig durch Menschen beeinflusst wurde.

Fest steht somit, dass sich der Ackerbau auf zunehmende Extremwetter­lagen einstellen muss. Mit dem Einsatz von Biostimulanzien soll es möglich sein, die Stressresilienz der Pflanzen auch unter ungünstigen Wachstumsbedingungen zu verbessern.

Politik verdrängt den ­Pflanzenschutz

Neben dem steigenden Druck durch den Klimawandel gibt es mittlerweile immer mehr Regelungen bzw. Vorschläge, in denen es u. a. um eine Begrenzung des chemischen Pflanzenschutzes geht. Hier die wichtigsten:

  • Im Rahmen des Green Deals will die EU-Kommission den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln bis zum Jahr 2030 halbieren (Bezugszeitraum soll 2015 bis 2017 sein). Erste Vorschläge zur Umsetzung sehen nun vor, dass man die verschiedenen Wirkstoffe nach Faktoren gewichtet. Dann darf eine gewisse Punkteobergrenze, die zurzeit noch nicht feststeht, nicht überschritten werden.



    Zudem plant Brüssel, Pflanzenschutzeinsätze in Naturschutzgebieten – und zwar in allen Schutzkategorien – vollständig zu verbieten. Das sorgt momentan bei Landwirten, Verbänden und Beratern für heftige Debatten.
  • Die nationale Ackerbaustrategie des Bundeslandwirtschaftsministeriums gliedert sich in sechs Leitlinien sowie zwölf Handlungsfelder und soll als politische Diskussionsgrundlage dienen. Mit Blick auf den Pflanzenschutz ist es auch hier das Ziel – in Anlehnung an Brüssel – bis 2030 den Einsatz von ­Mitteln mit höherem Risiko deutlich zu senken.

    Gemeint sind damit Präparate, die Wirkstoffe enthalten, die den Ausschlusskriterien der VO (EG) Nr. 1107/2009 entsprechen und als Substitutionskandidat eingestuft wurden. Zusätzlich ist in dem Papier der Wille zum Ausstieg aus Glyphosat bis Ende 2023 niedergeschrieben.
  • Die Änderungen des Insektenschutzpakets traten im März diesen Jahres in Kraft, dazu wurde das Pflanzenschutzgesetz geändert und die sogenannte Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung. Kernpunkte sind weitere Einschränkungen für Herbizid- und Insektizideinsätze in bestimmten nationalen Schutzgebieten, neue Abstandsauflagen zu Gewässern und die Einführung zusätzlicher Biotoptypen.

Ziel all dieser politischen Vorhaben ist demnach die Reduzierung des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel. Aus dieser Entwicklung heraus könnten Pflanzen-Biostimulanzien, wovon einige die Vitalität von Pflanzen fördern, künftig bedeutsamer werden.

Wirkstoffverlust schreitet weiter voran

Diese politischen Forderungen treffen auf einen bereits seit Jahren andauernden Wirkstoffverlust. Der Hintergrund ist, dass die EU-Kommission im Rahmen der Neubewertung alter Wirkstoffe verschiedene Ausschlusskriterien, die Cut-off-Kriterien, festgelegt hat. Durch die schärfere Bewertung fallen teils ganze Wirkstoffgruppen weg.

Als Weg, unsere Kulturen dennoch gesund und widerstandsfähig zu halten, schlagen Brüssel und die Bundesregierung vor, den Integrierten Pflanzenschutz deutlich stärker in den Fokus zu rücken. Ein neues Werkzeug, um diesen zu stärken, ist der Einsatz von Pflanzen-Biostimulanzien.

Düngung wird zunehmend ­reglementiert

Ein weiterer Treiber, der den Einsatz der neuen Produktgruppe zumindest interessanter macht, ist die Düngeverordnung. Sie begrenzt per Gesetz die Düngermengen.

So muss man z. B. vor jeder Düngemaßnahme eine Düngebedarfsermittlung (DBE) für Stickstoff und Phosphat durchführen. Die gesetzlich festgelegten Bedarfswerte für diese Bedarfsermittlung liegen z. B. in Getreide bei

  • A/B Weizen 230 kg N/ha,
  • Futtergerste 180 kg N/ha,
  • Roggen 170 kg N/ha
  • Triticale 190 kg N/ha.

Den Bedarfswert muss man dann jeweils an den Standort über Zu- und Abschläge anpassen. Der ermittelte Wert bildet dann die Obergrenze.

Dazu kommt noch, dass man im Herbst nur Wintergerste und Raps unter bestimmten Bedingungen düngen darf. Hier gilt dann obendrein noch eine Grenze von maximal 30 kg/ha NH4+/ha bzw. 60 kg/ha N-Gesamt – im übrigen für organische und mineralische Dünger gleichermaßen!

Diese Grenzen zeigen beispielhaft Folgendes: Um gut entwickelte Ge­treidebestände zu Höchsterträgen mit marktgerechten Qualitäten zu bringen, braucht es durchdachte Düngestrategien – insbesondere dann, wenn z. B. die Witterungsbedingungen ungünstig sind. Es gilt mehr denn je, die Effizienz der Düngung zu steigern.

Auch hier kommen wieder – neben anderen Maßnahmen – die Pflanzen-Biostimulanzien ins Spiel. Denn es gibt Produkte am Markt, die z. B. den sekundären Stoffwechsel von Pflanzen stimulieren und über die Aktivierung von Schlüsselenzymen des Stickstoffkreislaufs die N-Effizienz erhöhen können sollen.

Noch wichtiger ist ein Höchstmaß an N-Effizienz in den Roten Gebieten. Denn dort muss man den ermittelten N-Düngebedarf noch einmal um 20 % senken. Zudem ist in diesen Gebieten keine Herbstdüngung – auch nicht zu Raps und Wintergerste – zulässig. Neben einem evtl. Einsatz von Pflanzen-Biostimulanzien, Bodenhilfsstoffen u. a. ist es in diesen Regionen wichtig, alle pflanzenbaulichen Register zu ziehen. Dazu zählen z. B.:

  • Eine intensivere Bodenbearbeitung, um die N-Mineralisierung zu fördern.
  • Eine optimale Kalkversorgung, um Nährstoffe besser verfügbar zu machen, die Bodenstruktur zu verbessern und auch die biologische Bodenaktivität zu erhöhen.
Pflanzen-Biostimulanzien sind ein Teil des Integrierten Pflanzenbaus

Momentan ist damit zu rechnen, dass die Roten Gebiete in Kürze noch deutlich wachsen. Hintergrund der Entscheidung ist ein jahrelanger Streit Deutschlands mit der EU-Kommission, der in ­einem EU-Vertragsverletzungsverfahren gipfelte. Der EuGH sah die EU-Nitratrichtlinie unzureichend umgesetzt. Die Bundesregierung reagiert nun darauf mit einer neuen Ausweisung.

Düngerpreise auf Allzeithoch

Doch nicht nur die gesetzlichen Auflagen sorgen dafür, dass das Interesse an Pflanzen-Biostimulanzien zurzeit wächst. Wegen der aktuell extrem hohen Düngerpreise suchen derzeit viele Betriebe nach sinnvollen Alternativen.

Hintergrund der Situation ist, dass einige Düngerhersteller ihre Produktion aufgrund der hohen Energiepreise drosseln mussten. Im Moment füllt zwar noch Importware den Düngermarkt, ob diese aber das Qualitätsniveau der in Europa produzierten Düngemittel halten kann, wie z. B. die Flugeigenschaften, lässt sich nach Meinung vieler Branchenexperten nicht sicher sagen. Zudem dürften die Preise für Importware wegen der langen Transportwege aus den Exportländern in Kürze auch steigen.

Um Kosten zu sparen, setzen viele Landwirte mehr organische Dünger ein und versuchen, die Effizienz der Düngung insgesamt zu erhöhen. Einige Landwirte machen zurzeit Erfahrungen mit Produkten von Pflanzen-Biostimulanzien, die Stickstoff sammeln.

Pflanzen-Biostimulanzien als Teil der Lösung

Die geschilderten Herausforderungen – angefangen beim Klimawandel bis hin zur Düngerknappheit – zeigen, dass man in Zukunft Ertrags- und Qualitätsverluste von Kulturen nur verhindern kann, wenn man im Rahmen des Integrierten Pflanzenschutzes alle verfügbaren Werkzeuge nutzt. In Getreide gehören dazu z. B. folgende indirekte Maßnahmen:

  • Der Anbau gesunder Sorten, um den Ausgangsbefall mit Schadpilzen zu verringern.
  • Die Wahl später Saattermine, um die Befallsstärke von Schadorganismen vor Winter zu mindern, das Auflaufen von Ungräsern zu begrenzen und Vektoren an einer frühen Virusübertragung zu hindern.
  • Das Erweitern von Fruchtfolgen, um den Befallsdruck mit standorttreuen Krankheiten zu vermindern.

Allerdings – da sind sich die Berater einig – wird es unter alleiniger Nutzung solcher indirekten Pflanzenschutzverfahren nicht gelingen, deutliche Ertragsverluste zu verhindern. Notwendig sei ein abgestimmtes System, bei dem man eine breite Palette unterschied­licher Werkzeuge miteinander kombinieren kann.

Dazu zählen z. B. auch moderne Pflanzenschutzmittelwirkstoffe und -stärkungsmittel, Biologicals, Pflanzen-Biostimulanzien sowie die Möglichkeit, molekulare Verfahren wie die Genom-Editierung zur Verbesserung pflanzlicher Eigenschaften zu nutzen. Auch die Digitalisierung, wie z. B. die Anwendung von digitalen Prognoseprogrammen oder der Einsatz von anderen Smart Farming-Produkten, wird vor diesem Hintergrund bedeutsamer.

Die Ausführungen zeigen, dass der Ackerbau künftig immer höhere Anforderungen an die Praxis stellen wird.

Im zweiten Teil am Donnerstag nehmen Wissenschaftler, Berater und Landwirte die relativ neue Produktgruppe der Pflanzen-Biostimulanzien einmal unter die Lupe. Dabei geht es neben einer rechtlichen Einordnung auch um Ergebnisse aus der Forschung und Erfahrungen von Landwirten. Wer die Leistung solcher Produkte ausprobieren möchte, sollte dies nach Meinung von Pflanzenbauberatern zunächst auf kleiner Fläche tun, um Erfahrungen damit zu sammeln.

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