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Sind Pflanzen-Biostimulanzien die Lösung für Probleme im Ackerbau?

Wegfallende Wirkstoffe, mehr Resistenzen und zunehmende Wetterextreme – sind Pflanzen-Biostimulanzien ein Teil der Lösung für unsere Probleme im Ackerbau? Hier eine Einschätzung.

Lesezeit: 8 Minuten

Pflanzen-Biostimulanzien erfüllen ­unterschiedliche Ziele, einige sollen z. B. die Nährstoffverfügbarkeit verbessern. Wir sprachen mit Dr. Ruben Gödecke und Eberhard Cramer vom Regierungspräsidium Gießen darüber.

top agrar: Pflanzen-Biostimulanzien wirken rein biologisch. Wozu gehört die neue Produktgruppe?

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Cramer: Generell hat sich hinsichtlich der rechtlichen Zuordnung ein System etabliert, das die Einordnung eines Inhaltsstoffs zu einer Kategorie/Gruppe erfordert. Hier ein kurzer Überblick:

Die Grundstoffe unterliegen einer Genehmigungspflicht nach einem EU-Beurteilungsbericht. Zu dieser Gruppe gehören z. B. Ackerschachtelhalmextrakt, Natriumhydrogencarbonat, Senfsaatpulver, Chitosanhydrochlorid u. a.

Die Pflanzenstärkungsmittel müssen beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vor Inverkehrbringen angezeigt werden. Diese Produkte sollen die pflanzlichen Abwehrkräfte gegen Schadorganismen fördern. Der Nachweis einer Wirkung ist aber nicht erforderlich. Brennnessel­extrakt Compositum, Pottasol, Supporter, Tillecur u. a. lassen sich dieser Gruppe zuordnen.

Die Pflanzenhilfsmittel und Bodenhilfsstoffe unterliegen dagegen dem nationalen Düngerecht. Somit haben sie ein anderes Ziel als die ersten beiden Gruppen. Gering konzentrierte Düngemittel, Rhizobien, Nitrifikations- oder Ureasehemmer zählen hierzu. ­Besonders bekannt geworden sind in den letzten Jahren Bakterienpräparate wie Utrisha N, Nutribio N, AKRA Azotobacter, Poesie u. a., die Luft­stickstoff – so wie die Leguminosen – für Getreide binden sollen. Damit soll es möglich sein, die mineralische Düngung zu reduzieren. Prinzipiell ist hier eine Einstufung hin zu den Bio­stimulanzien möglich.

Was zeichnet die Gruppe der Pflanzen-Biostimulanzien ganz konkret aus? Müssen sie z. B. auch eine Wirkung auf die Pflanze oder den Boden zeigen?

Cramer: Der Prozess der Einstufung in die neue Gruppe der „Pflanzen-Biostimulanzien“, die in der EU-Düngeprodukteverordnung geführt werden, bedarf noch weiterer Nachweise. So müssen folgende Kriterien erfüllt sein: Die Wirkung muss sich durch eine begrenzte Anzahl von Versuchen nachweisen lassen. Dabei ist zu unterscheiden, ob man einen Nachweis in nur einer Kultur, wie z. B. Mais, oder in einer Kulturgruppe anstrebt. Generell gilt dabei: Je größer das Anwendungsgebiet, desto mehr Ergebnisse sind nötig.

Zudem müssen Qualitätsstandards hinsichtlich Inhalt sowie Sicherheitsnachweise zu möglichen Gefahren für Anwender und Umwelt im Prüfverfahren geklärt sein. Nach der vorgeschriebenen Prüfung wird ein CE-Kennzeichen vergeben. Damit ist sichergestellt, dass die Anforderungen der Produktfunktionskategorie 6 der EU-Düngeprodukte-Verordnung erfüllt sind.

Trotz der vielen Prüfungen bleibt nach unserer Einschätzung aber eine Wirkungsuntersuchung der amtlichen Versuchsansteller erforderlich, um zu einer praxisgerechten Empfehlung für Landwirte zu gelangen.

Generell zeigt sich, dass die so zu­geordneten Pflanzen-Biostimulanzien weder Dünge- noch Pflanzenschutzmittel sind. Das ist wichtig, weil sie eben nicht – wie teils angenommen – der ­Ersatz für wegfallende Pflanzenschutzmittel sind. Zur Verdeutlichung: Niemand sollte von einem Biostimulans-Produkt eine ähnliche Wirkung gegen Rost, Septoria oder Fusarium erwarten wie von einem Fungizid.

Mittlerweile gibt es immer mehr Mittel auf dem Markt. Woraus bestehen sie und wie wirken sie?

Cramer: Grundsätzlich müssen Biostimulanzien natürlichen Ursprungs sein. Es gibt z. B. nicht mikrobielle Stoffe wie Aminosäuren pflanzlicher oder ­tierischer Herkunft zur Förderung von Stoffwechselvorgängen. Algen- und Pflanzenextrakte sollen dagegen die Photosynthese steigern. Humin­stoffe als Bestandteile organischer Substanz mindern Stress oder steigern die ­Nährstoffeffizienz. Natürliche ­Signalstoffe können die Keimung von nützlichen Mykorrhizasporen fördern, die dann die Wasser- und Nährstoff­aufnahme effizienter gestalten.

In der Gruppe der  mikrobiellen  Stoffe  sind langjährig Bekannte zu ­finden, wie symbiotisch lebende Mykorrhizapilzsporen oder verschiedene Rhizobiumbakterien. Außerdem ge­hören freilebende Bakterien dazu, die bei Etablierung eine Krankheitsausbreitung mindern können, wie z. B. Bacillus amyloliquefaciens. Aber auch wuchsfördernde Bakterien wie Azotobacter u.a. zählen zu dieser Stoffgruppe.

Zur  nicht organischen Gruppe  gehören z. B. Silicum mit vielfältigem Potenzial und Kupfer mit antibakterieller sowie vorbeugender Wirkung gegen Pilze.

Welche Ziele verfolgt man mit den Biostimulans-Produkten?

Cramer: Die angesprochenen Wirkungen der Komponenten sind nur beispielhaft erwähnt und nicht vollständig. In den Produkten befindet sich oft ein Mix verschiedener Inhaltsstoffe, um das Wirkspektrum zu erweitern. Denn für den Landwirt sind weniger die Inhaltsstoffe als vielmehr die Leistungen entscheidend. Unterteilt man die Produktklassen nach ihrer Funktion, zielen die Mittel auf Folgendes ab:

  • Verbesserung der Verfügbarkeit von Nährstoffen im Boden,

  • Optimierung der Nährstoff- und Wasseraufnahme, besonders in Mangelsituationen,

  • Steigerung der Qualität, z. B. bei Rohprotein,

  • Minderung von Pflanzenstress aufgrund von Trockenheit, flachgründigem Boden oder Einstrahlung.

In Gefäßen im Gewächshaus oder in einer Vegetationshalle lassen sich eher Effekte von den Produkten herausarbeiten. Im Freiland gibt es hin­gegen viele nicht beeinflussbare und wechselnde Faktoren, wie z. B. unterschiedliche Bodenarten, organische oder mineralische Düngung, verschiedene Fruchtfolgen und wechselhafte Witterung. Diese Faktoren können die Pflanzen mehr beeinflussen als die eigentlich zu erwartenden Wirkungen der Biostimulanzien.

Was leisten Biostimulanzien in der Praxis? Gibt es Versuchsergebnisse dazu?

Cramer: Wir führen in Hessen seit 2017 Versuche mit biologischen Mitteln im Ackerbau durch, unabhängig von der zuvor genannten Zuordnung. Wir nutzen dazu eine Vegetationshalle des LLH. Hier lässt sich bei relativ kontrollierten Bedingungen unter ­weitgehendem Ausschluss des Faktors Witterung das ­Potenzial der Mittel hinsichtlich Vitalisierung, Nährstoffeffizienz oder Ertrags­wirkung prüfen.

Zudem werden Freilandversuche an verschiedenen Standorten durch­geführt, hauptsächlich in Getreide, aber auch in Mais, Zuckerrüben, Raps und Kartoffeln. Wiederholungen der Versuchsvarianten ermöglichen ­dabei eine statistische Auswertung.

Insgesamt liegen mit dem Ziel „­Vitalisierung von Pflanzenbeständen, Ertragssteigerungen mit Nebeneffekt Einfluss auf Krankheiten“ viele Er­gebnisse in Weizen vor. Dabei wurden ­unterschiedliche Anbausysteme, ­Standorte und Böden mit einbezogen. Verwendet wurden auch Mittel zur Einarbeitung in den Boden. Meist ist aber die Blattapplikation mittels Pflanzenschutzspritze der Standard.

Die Ergebnisse: Im Mittel zeigte sich kaum ein Effekt auf den Ertrag. In einzelnen Versuchen ließ sich der Ertrag steigern, es traten gelegentlich allerdings auch Mindererträge auf. Einige Mittel, die auch Mikronährstoffe enthalten, können bei einem Mangel aber sicherlich zu Mehrerträgen führen.

Krankheiten, deren Reduktion ausdrücklich nicht das Ziel von Biostimulanzien ist, wurden nur vermindert, wenn in dem jeweils verwendeten Mittel eine Mindestmenge Schwefel oder Kupfer vorhanden war. Biologische Pflanzenschutzmittel konnten Mykotoxine, ausgelöst durch Fusariuminfektionen, nicht reduzieren.

Unsere Einschätzung: Wird in einem optimierten Ackerbau verstärkt mit weiten Fruchtfolgen, Zwischenfrüchten und organischer Düngung gearbeitet, ist von Biostimulanzien in Weizen bislang ein geringes Potenzial zu erwarten.

Wie ist die Leistung von Luftstickstoff fixierenden Produkten zu bewerten?

Cramer: Nach Beginn des Ukrainekriegs sind die Preise für N-Dünger und Ernteprodukte hochgeschnellt. Das rückte potenziell Luftstickstoff ­fixierende Bakterien-Präparate wie ­Poesie, AKRA Azotobacter, Utrisha N und Nutribio N in den Fokus. Das Ziel: Mineralischen Stickstoff in Größen­ordnungen von 20 bis 30 kg/ha N ­einsparen.

In umfangreichen zweijährigen ­Versuchen wurden in Winterweizen an drei und in Wintergerste an einem Standort in Hessen verschiedene ­mineralische Düngestufen vom LLH und Pflanzenschutzdienst angelegt – ­jeweils mit und ohne Bakterienprodukte. Die Beerntung erfolgte mit ­einem ­Versuchsmähdrescher. Die Beprobung auf Qualitätsmerkmale führte das hessische Landeslabor LHL durch. Die Ergebnisse bestätigten in keiner Weise die beworbenen Wirkungen im Getreide. Allerdings sind Versuche in anderen Kulturen nötig und können zu abweichenden Ergebnissen führen.

Können Pflanzen-Biostimulanzien Stress durch Wetterextreme abmildern?

Cramer: Wegen des Klimawandels ­beschäftigt sich die Landwirtschaft verstärkt auch mit Maßnahmen, die abiotischen Stress reduzieren sollen. Symptome wie längere Trockenheit, starke Sonneneinstrahlung, besonders in Verbindung mit flachgründigen, ­wenig Wasser speichernden Böden, können zu erheblichen Ertragseinbußen führen – auch wenn derzeit eher übernässte Böden Probleme bereiten.

Inwieweit verschiedene Mittel Pflanzenstress reduzieren können, wurde 2023 an zwei Standorten mit flachgründigen Kalksteinverwitterungs­böden in Nordhessen geprüft. Die untersuchte Sommergerste kam in eine starke Trockenphase, die bis kurz vor der Ernte anhielt. Das Ergebnis: Alle sieben eingesetzten Pflanzen-Biostimulanzien konnten bei zweimaliger ­Applikation vor der Trockenphase ­keinen Ertragseffekt erzielen.

Neben Getreide wurde auch Mais geprüft. Dieser profitiert grundsätzlich zwar von wärmeren Temperaturen, tritt aber Wassermangel während der Korneinlagerungsphase auf, sinkt auch hier die Produktivität. Bis Mitte Juli 2023 litt der Mais ebenfalls unter der Trockenheit, die nachfolgenden kontinuierlichen Niederschläge führten dann aber zu einem günstigen Entwicklungsverlauf. In diesem Fall konnten die Produkte ihr Potenzial nicht unter Beweis stellen. Ergebnis: Keine absicherbaren Ertragsunterschiede.

Biologische Mittel haben unter Feldbedingungen aktuell ein begrenztes Potenzial.
Eberhard Cramer

Vorläufig lässt sich daraus ableiten, dass bei einem intensiven, länger ­anhaltenden abiotischen Stress eher keine Wirkungen erreichbar sind – vor allem nicht auf flachgründigen Böden. Kurze Stressereignisse könnten natürlich zu anderen Ergebnissen führen.

Gibt es auch Versuche mit Biostimulanzien, in denen Effekte auftreten?

Cramer: Interessant könnten die Wirkungen biologischer Mittel z. B. im Mais mit Silicium oder Zink/Mangan zur Erhöhung der Schutzwirkung bei Kälteeinbruch sein. Häufig gibt es nach dem Auflaufen des Maises eine kühle Phase, die Kältestress erzeugt. Ließe sich die Kältetoleranz steigern, könnte bei anschließend steigenden Temperaturen ein schnelleres Wachstum ein­setzen. Erste externe Versuche laufen dazu und zeigen positive Effekte.

Die Ergebnisse waren offensichtlich bislang „überschaubar“. Warum ist die Produktgruppe trotzdem interessant und wichtig?

Cramer: Das Potenzial biologischer Mittel, speziell der Biostimulanzien, ist nicht mit der Leistung chemischer Pflanzenschutzmittel vergleichbar – wer das gehofft hat, muss seine Erwartungen zurückschrauben. Im Gegensatz zum Gemüse- oder Kräuteranbau ist im Ackerbau auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis anders. Die Kosten der Biostimulans-Produkte von 20 bis 80 €/ha (oder darüber) benötigen einen entsprechenden Getreide-Mehrertrag.

Allerdings: Vor dem Hintergrund ­einer künftig schrumpfenden Pflan­zenschutzmittelpalette, von Resistenzentwicklungen, Umweltvorgaben und reduzierten Düngermengen, ist es wichtig, weiterhin nach neuen, begleitenden Lösungen – wie es die Biostimulanzien sein können – zu suchen.

Wie intensiv wird im Bereich der Pflanzen-Biostimulanzien geforscht? Ist künftig mit leistungsstärkeren ­Produkten zu rechnen?

Cramer: Die Entdeckung neuer bio­logischer Mittel und die Entwicklung bis hin zur Vertriebsfähigkeit, benötigen Zeit und Geld. In Sonderkulturen unter Glas sind mit definierten Erd­substraten am ehesten Wirkungen zu generieren. Auf dem Acker gibt es dagegen sehr viele Einflussfaktoren. Generell können finanzierte Forschungsprojekte sicherlich helfen, die Entwicklung zu beschleunigen.

Wegen der zunehmenden Restrik­tionen ist jeder Landwirt unserer Einschätzung nach aber auch gehalten, sein „altes“ Ackerbau-Anbausystem auf den Prüfstand zu stellen, was teils auch schon erfolgt. Dazu gehören ­erweiterte Fruchtfolge, eventuell eine veränderte Bodenbearbeitung, der ­Anbau von Zwischenfrüchten, die Wahl gesunder Sorten, die Opti­mierung der Saatzeitpunkte und die ­Verbesserung der organischen und ­mineralischen Düngung. In solchen Systemen gilt es, Biostimulanzien ­künftig rentabel einzusetzen.

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