Die Landwirtschaft soll hohe Erträge ernten und gleichzeitig die Artenvielfalt fördern – das fordert die Gesellschaft. Doch wie geht das zusammen? Was erwarten Praktiker und Politiker voneinander? Wo fehlt es an Verständnis, wo an Fachtiefe? Und welche Lösungsansätze halten beiden Blickrichtungen stand?
Am 9. November wollen wir dieses Thema im Rahmen der top agrar-Veranstaltungsreihe "Politik trifft Praxis" mit Ihnen und vier Bundestagsabgeordneten diskutieren, darunter die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anne-Monika Spallek. Im Vorfeld haben wir mit ihr über ihre Meinung zum Pflanzen- und Artenschutz und zu Glyphosat im Besonderen gesprochen. Auch Sie können Anne-Monika Spallek und den weiteren Teilnehmern per E-Mail Ihre Fragen stellen (Fragen@topagrar.com) oder direkt selbst teilnehmen. Hier geht es zur Anmeldung: "Politik trifft Praxis".
Frau Dr. Spallek, Ihr Parteikollege Karl Bär bezeichnete die Diskussion um pauschale Pflanzenschutzverbote in Sensiblen Gebieten vor kurzem sinngemäß als „Geisterdebatte“ und meinte damit, die EU-Kommission habe sich davon längst verabschiedet. Dennoch ist das Thema noch nicht vom Tisch. Halten Sie derartige Verbote für einen sinnvollen Weg hin zu mehr Artenschutz in der Kulturlandschaft?
Spallek: Ein pauschales Totalverbot in "empfindlichen Gebieten", wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hat, sehe ich kritisch, ebenso wie ja auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Auch die grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener schlägt vor, das sensible Gebiete wie Landschaftsschutzgebiete, in denen der Naturschutz keine ausdrückliche Rolle spielt, ausgenommen werden. Das halte ich für richtig. In meinem Kreis Coesfeld liegt der überwiegende Teil der landwirtschaftlichen Flächen in Landschaftsschutzgebieten. Wesentliches Ziel ist hier die Erhaltung der Münsterländer Parklandschaft. Es macht keinen Sinn für nahezu den gesamten Kreis Coesfeld pauschal verschärfte Vorgaben zu machen.
Wichtig ist, dass es EU-weite einheitliche Regeln für den Pflanzenschutz gibt, die dann für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen. Wenn andere EU-Länder keine Landschaftsschutzgebiete mit Kulturlandschafts-Zielen erfasst haben, wird ja genau dieses Ziel konterkariert.
Was ist mit den übrigen Flächen? In welchem Umfang sollte chemischer Pflanzenschutz hier noch möglich sein, um auf der einen Seite produktive Landwirtschaft und auf der anderen nachhaltigen Biodiversitätsschutz möglich zu machen?
Spallek: Mir ist das Wort „nachhaltiger Biodiversitätsschutz“ hier zu wenig klar definiert. Ich bin keine Freundin davon, die Landwirtschaft bei der Pestizidreduktion in Schutz- und „Schmutz“gebiete trennen zu wollen.
Eine produktive Landwirtschaft im Einklang mit der Natur, Boden, Wasser, Klima und Artenvielfalt muss das Ziel sein.
Eine produktive Landwirtschaft im Einklang mit der Natur, Boden, Wasser, Klima und Artenvielfalt muss das Ziel sein.
Klar ist, dass die Biodiversität von Acker und Feldflur aus den letzten Jahrhunderten sich in der Kulturlandschaft einer ökologischen Landwirtschaft entwickelte und wir werden sie auch nur über eine ökologischere Landwirtschaft wieder zurückbekommen, denn es geht um gesamte Ökosysteme und nicht nur um einzelne Arten.
Beispielsweise die Ackerwildkräuter: Mit dem Aufkommen chemischer Bekämpfungsmittel nahm die Verbreitung der Ackerwildkräuter seit den 1960er Jahren radikal ab. Rund 270 Pflanzenarten gehören in Deutschland zur „Ackerunkraut- und kurzlebigen Ruderalvegetation“.
Auf Grund des Bekämpfungserfolges ist jedoch keine Pflanzenformation in Mitteleuropa so reduziert, gefährdet und sogar durch ausgestorbene Arten gelichtet wie die der Ackerwildkräuter. Dabei sind schon lange nicht alle Ackerwildkräuter auch schädlich für die Ernte. Und moderne Technik macht Vielfalt im Acker zunehmend wieder mehr möglich.
Das Ziel des Green Deals, 50 % weniger chemisch synthetische PSM bis 2030 unter Berücksichtigung der bisherigen Reduzierungen in den Ländern sollte auf jeden Fall aufrechterhalten werden. Das heißt aber nicht, dass von einem auf den anderen Tag jeder Betrieb nur noch die Hälfte der Mittel verwenden darf. Für die verschiedenen landwirtschaftlichen Flächen brauchen wir differenzierte intelligente Herangehensweisen, wie wir das Ziel im Durchschnitt erreichen können.
Je mehr ökologische Landwirtschaft wir haben, auf denen keine chemischen Pestizide ausgebracht werden, desto weniger muss auf den anderen landwirtschaftlichen Flächen reduziert werden.
Klar ist, je mehr ökologische Landwirtschaft wir haben, auf denen keine chemischen Pestizide ausgebracht werden, desto weniger muss auf den anderen landwirtschaftlichen Flächen reduziert werden, damit die Gesamtreduktionsmenge erreicht wird. Deshalb ist der Ausbau des Ökolandbaus ein zentraler Baustein der Strategie.
Aber auch die ökologische Landwirtschaft muss sich weiterentwickeln, um bspw. mit Unterstützung von KI-Systemen und Robotik, mehr Forschung und Entwicklung für resistente Sorten und besserem ökologischen Pflanzenschutz die Produktion ihrerseits verbessern kann. Ökologisch arbeiten und dabei z.B. mit gezieltem Humusaufbau mehr produzieren ist möglich, darunter fällt zum Beispiel auch das Mob Grazing.
Die gezielte Umsetzung des integrierten Pflanzenschutzes (IPS) ist ein weiterer Baustein, um das 50-prozentige Reduktionsziel zu erreichen. Sarah Wiener hatte dazu vorgeschlagen, den Einsatz besonders „gefährlicher“ Pflanzenschutzmittel bis 2030 um 80 % zu verringern. Das halte ich für klug.
Um den Ausstieg aus gefährlichen Pestiziden abzumildern und alternative Pflanzenschutzverfahren zu entwickeln und in der Praxis zu etablieren, unterstützt das Bundeslandwirtschaftsministerium die Landwirtschaft durch Forschungsförderung sowie durch das Investitionsprogramm Landwirtschaft. Denn eine weitere Reduktion von chemischen Pestiziden ohne Produktionseinbußen ist mit gezielten Ausbringtechniken wie dem Spot Spraying auf dem Acker und Grünland bis zu 70 % möglich.
Durch Kombination mit ökologischen Methoden wie langen Fruchtfolgen und dem Einsatz von Nützlingen sind weitere Reduktionen möglich. Zusätzlich ist im Koalitionsvertrag verankert, dass ein digitales Herkunfts- und Identifikationssystem für den Nährstoff- und Pflanzenschutz eingeführt werden soll, mit dem Ziel, die Reduktionsstrategie voranzubringen.
Was sagen Sie Obst- und Weinbauern, bei denen ohne Agrarchemie in manchen Jahren Totalausfälle drohen? Ist Integrierter Pflanzenschutz hier wie im Getreideanbau vielleicht die Lösung?
Spallek: Alle Landwirte müssen die allgemeinen Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes bereits seit dem 1. Januar 2014 verpflichtend einhalten, so die Vorgaben der EU-Richtlinie 2009/128/EG. Die Strategie des integrierten Pflanzenschutzes basiert auf einer aufeinander abgestimmten Nutzung aller verfügbaren vorbeugenden, nichtchemischen und chemischen Maßnahmen. Den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln gilt es dabei, auf ein notwendiges Maß zu beschränken – ganz nach dem Motto “So viel wie nötig, so wenig wie möglich".
Die Leitlinie zum integrierten Pflanzenschutz im Weinbau liegt mittlerweile auch vor, für Obst- und Gemüse ist eine neue in Arbeit. Unter dem Titel Nachhaltiger Obstbau 2030 wird/wurde durch Anpassung der Bundesrichtlinie für die Integrierte Obstproduktion (IP-2030) jetzt das neue Konzept erstellt. Der Weg ist genau der Richtige.
Wichtig ist, dass die Maßnahmen auch kontrolliert werden. Im Obstbau sind resistente Sorten fundamental. Das ermöglicht es, im Anbau Fungizide einzusparen. Das Julius Kühn-Institut hat neue mehrfach resistente Sorten entwickelt (Pia41). Wichtig ist, dass Politik dabei unterstützt, dass neue Sorten auch in den Markt kommen.
Gehört Glyphosat für Sie auch in Zukunft zum Werkzeugkasten der konventionellen Landwirtschaft? Immerhin wird damit der Boden besser geschont als mit mechanischen Pflanzenschutzalternativen – das müssen doch auch Glyphosat-Gegner einräumen.
Spallek: Alle Herbizide haben massive Auswirkungen auf die Biodiversität und sollten deshalb nur im Ausnahmefall angewendet werden.
Alle Herbizide haben massive Auswirkungen auf die Biodiversität und sollten deshalb nur im Ausnahmefall angewendet werden.
Gerade bei Glyphosat wurden die Prinzipien des integrierten Pflanzenschutzes nach dem Motto “So viel wie nötig, so wenig wie möglich" wohl eher selten angewendet. Zu häufig konnte man die gelben Felder in der Landschaft sehen. Und zu häufig sehe ich auch heute noch einen sorglosen Umgang damit, bspw. unter Weidezäunen, die mit Glyphosat von Unkraut frei gehalten werden, tote Randstreifen, totgespritzte Baumscheiben uvm. Das Vertrauen in einen vernünftigen Umgang ist zu weiten Teilen verspielt.
Wir sehen eine Verlängerung auf EU-Ebene sehr kritisch und als nicht gerechtfertigt an, weil die EFSA extra darauf hinweist, dass die ihr verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen der Risikobewertung zum Aspekt der Biodiversität zuließen. Das heisst, dass das Vorsorgeprinzip nicht konsequent angewendet wird. Denn die Auswirkungen auf die Artenvielfalt wurden von der EU-Behörde bisher nicht berücksichtigt.
Die Menschen wollen weiterhin, dass Glyphosat vom Markt genommen wird.
Und die Menschen wollen weiterhin, dass Glyphosat vom Markt genommen wird. PAN Europe hat vor kurzem eine Befragung in sechs EU-Mitgliedsstaaten in Auftrag gegeben mit jeweils mindestens 1.000 befragten Erwachsenen in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Polen, Rumänien und Spanien. 62 % der Befragten fanden, Glyphosat solle verboten werden. Das gilt es zu berücksichtigen.
Mehrere Studien zeigen mittlerweile, dass Glyphosat die Artenvielfalt auch direkt beeinträchtigt. So gibt es eine Studie mit Florfliegen, welche die direkte Schädigung auf Insekten zum ersten Mal in den Fokus rückte. Eine aktuelle Übersichtsarbeit (Literatur-Review) zeigt nun zusätzlich sehr deutlich auf, dass der Einsatz von Glyphosat negative Auswirkungen auf zahlreiche Landlebewesen hat, darunter Mikroorganismen, Insekten, Spinnen, Bienen und Regenwürmer, sowie Amphibien, Reptilien und Vögel. Das entnehmen die Autor*innen den Ergebnissen von über 200 wissenschaftlichen Studien aus den Jahren 2010 bis 2023.
Und wie sieht es mit der Kohlenstoff-Fixierung und Treibhausgasemissionen aus?
Spallek: Das Thünen-Institut hat in einer umfassenden Untersuchung genau das untersucht. Die Wissenschaftler haben bei der pfluglosen Bodenbearbeitung keine signifikante Humusakkumulation gefunden.
Wissenschaftler haben bei der pfluglosen Bodenbearbeitung keine signifikante Humusakkumulation gefunden.
Gleiches gilt auch für eine reduzierte Bodenbearbeitung: Auch hier ergaben langjährige Versuche im Mittel nur eine geringe Erhöhung der Humusvorräte. Außerdem waren diese nach mehreren Jahrzehnten nicht sicher nachweisbar. Zudem haben Berechnungen des Thünen Instituts aus fast 50 Feldversuchen haben gezeigt: Lachgasemissionen sind bei Direktsaat um 86 % und bei reduzierter Bodenbearbeitung um 63 % erhöht. Pfluglose Bearbeitung unterstützt die Verbesserung der Bodenstruktur, Schutz vor Erosion und weniger Feldüberfahrten. Wir brauchen in diesem Bereich also noch mehr Forschung, um abschließend zu wissen, was die beste und nachhhaltigste Form der Bodenbearbeitung ist.
Selbst aus FAO-Kreisen kam in diesem Jahr Kritik an den weitreichenden Extensivierungsplänen der EU-Kommission, wovon der Kommissionsvorschlag zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) nur ein Baustein ist. Kann sich die EU– auch im globalen Kontext – derartige Einschnitte in die landwirtschaftliche Produktivität überhaupt leisten?
Spallek: Wie ich bereits erwähnt habe, ist mit der Reduktion des Pestizideinsatzes keineswegs auch ein Produktionsrückgang impliziert. Wir haben die Techniken weiterentwickelt und können mittlerweile viel gezielter Pestizide einsetzen. Auch die neue Folgenabschätzung zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) der EU-Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die Produktion einer ausreichenden Menge an Nahrungsmitteln durch das geplante Gesetz zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) nicht gefährdet wird. Die größten dadurch ausgelösten Effekte sind bei Kulturen zu erwarten, die „für die Lebens- und Futtermittelsicherheit eine relativ geringe Rolle spielen“. Genannt werden unter anderem Weintrauben, Hopfen und Tomaten. Insofern ist es wichtig, hier in der Ausgestaltung der SUR Übergangsszenarien zu schaffen.
Zudem gibt es erhebliche Potentiale im Ernährungssystem zu erschließen in der gesamten Wertschöpfungskette.
Unser Ernährungssystem ist aktuell sehr ineffizient.
Unser Ernährungssystem ist aktuell sehr ineffizient – ein Drittel aller Nahrungsmittel verdirbt oder wird verschwendet. Es nützt nichts, noch mehr zu intensivieren, um noch mehr wegzuwerfen. 50 % der deutschen Getreideernte wird darüber hinaus für Viehfutter genutzt. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass wir, wenn wir das System effizienter aufbauen und die Ernährung gesünder für Mensch und Planet gestalten, auch 12 – 14 Milliarden Menschen ernähren können.
Wir haben uns darüber hinaus in zahlreichen europäischen und internationalen Abkommen verpflichtet, die Arten, die Böden, das Wasser, die Natur zu erhalten, das Klima zu schützen. Auch um in Zukunft auf gesunden Böden, mit vielfältigem Saatgut, mit ausreichend Wasser und einer CO2 neutralen Landwirtschaft überhaupt weiter in der Lage zu sein, die Menschen auf dieser Welt ernähren zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!