Streit um pauschale Reduktionsziele für Pflanzenschutzmittel geht weiter
Vor einer Bundestagsanhörung hatte der BUND dem Sachverständigen Tiedemann die Eignung abgesprochen. Dieser sagt, dass chemischer Pflanzenschutz der Artenvielfalt nicht so stark schadet wie behauptet.
Am Montag wurde bei einer Anhörung im Agrarausschuss des Bundestages auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion über die von Brüssel vorgeschlagene Halbierung des chemischen Pflanzenschutzeinsatzes bis 2030 diskutiert. Agrar- und Industrievertreter, aber auch Wissenschaftler wie der Göttinger Pflanzenschutzexperten Prof. Andreas von Tiedemann kritisierten dabei solche pauschalen Reduktionsziele als ungeeignetes Mittel.
Tiedemann hat damit seinerseits den Zorn des BUND auf sich gezogen. Auf Twitter warf Corinna Hölzel vom BUND den Unionsparteien im Bundestag vor, mit der Einladung von Prof. Tiedemann als Sachverständigem die Chance vergeben zu haben, in der Diskussion um „Pestizidreduktion“ endlich voranzukommen. Der Göttinger stelle „entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse“ in Frage, ob chemische Pflanzenschutzmittel der Biodiversität überhaupt schaden.
Pflanzenschutz-Risiken systematisch überschätzt
Tatsächlich hatte Tiedemann in der Anhörung festgestellt, dass die Risiken der gegenwärtig eingesetzten Pflanzenschutzmittel aus wissenschaftlicher Sicht systematisch überschätzt werden. Er wies darauf hin, dass keine der weltweit vorliegenden Studien auch nur annähernd die in der bekannten „Krefeld-Studie“ behaupteten dramatischen Rückgänge der Insektenbiomasse bestätigt. Aktuelle Untersuchungen wie die des österreichischen Entomologen Thomas Zuna-Kratky zeigten vielmehr stabile Entwicklungen bei Artenvielfalt und -zahl auf.
Nicht nachvollziehen kann Tiedemann zudem, dass die Wohlfahrtseffekte von Pflanzenschutzmitteln, aber auch bereits erzielte Risikominderungen in der Debatte ignoriert werden. Der Agrarwissenschaftler plädiert dafür, die Agrarlandschaft hinsichtlich der Vielfalt ihrer Lebensräume zu optimieren. Pauschale Reduktionsziele für den Pflanzenschutzmitteleinsatz sind jedenfalls aus Tiedemanns Sicht für die Regulierung der Biodiversität die falsche Stellschraube.
Courbier: Es fehlt noch an Alternativen
Auch der Verband Der Agrarhandel (DAH) ist skeptisch, was den Nutzen solcher Vorgaben angeht. Er fordert, dass sich die Senkung des Mitteleinsatzes zwingend an der Verfügbarkeit wirksamer Alternativen orientieren muss.
DAH-Geschäftsführer Martin Courbier begrüßte grundsätzlich die politischen Ziele der EU-Kommission, chemische Pflanzenschutzmittel zu reduzieren und die Diversität von Pflanzen und Tieren EU-weit zu erhöhen. Dennoch dürften die Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Versorgungssicherheit gefährdet wird. „Der Landwirtschaft stehen derzeit keine wirksamen alternativen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, um beispielweise das Auftreten von Pflanzen- oder Pilztoxinen in Agrarprodukten zu verhindern“, betonte Courbier. Beispielsweise machten biologische Maßnahmen bisher nur 1 % des gesamten Pflanzenschutzes aus.
„Eine pauschale Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmittel heißt aktuell eben auch, dass die Erträge sinken werden, die Preise für Agrarprodukte steigen und die Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln gefährdet wird“, gibt der DAH-Geschäftsführer zu bedenken. Angesichts der angespannten globalen Versorgungssituation mit Lebens- und Futtermitteln müssten deshalb die Maßnahmen politischer Ziele klug abgewogen werden, damit die verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen weiterhin effizient genutzt werden und Nahrungsmittel bezahlbar bleiben.
Elverfeldt: Brauchen wissensbasierte Politik
Widerstand kommt ebenfalls vom Verband der Familienbetriebe Land und Forst. Dessen Vorsitzender Max v. Elverfeldt bezeichnet die Vorschläge der EU-Kommission als „nicht praxistauglich“. Sollte die EU-„Farm-to-Fork“- Strategie in der vorliegenden Form der Sustainable Use Regulation umgesetzt werden, wären allein in Deutschland 3,5 Millionen Hektar Ackerfläche betroffen, die faktisch aus der Nahrungsmittelproduktion entnommen werden würden, gibt von Elverfeldt zu bedenken.
Er bekräftigte daher seine Forderung nach einer wissensbasierten und zielorientierten Politik. Eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln könne nur durch Innovation in Züchtung und verbesserte Effektivität sowie standortbezogene Lösungen erreicht werden, so der Verbandsvorsitzende. Ein finanzielles Anreizsystem würde diesen Prozess nach seiner Überzeugung beschleunigen.
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Am Montag wurde bei einer Anhörung im Agrarausschuss des Bundestages auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion über die von Brüssel vorgeschlagene Halbierung des chemischen Pflanzenschutzeinsatzes bis 2030 diskutiert. Agrar- und Industrievertreter, aber auch Wissenschaftler wie der Göttinger Pflanzenschutzexperten Prof. Andreas von Tiedemann kritisierten dabei solche pauschalen Reduktionsziele als ungeeignetes Mittel.
Tiedemann hat damit seinerseits den Zorn des BUND auf sich gezogen. Auf Twitter warf Corinna Hölzel vom BUND den Unionsparteien im Bundestag vor, mit der Einladung von Prof. Tiedemann als Sachverständigem die Chance vergeben zu haben, in der Diskussion um „Pestizidreduktion“ endlich voranzukommen. Der Göttinger stelle „entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse“ in Frage, ob chemische Pflanzenschutzmittel der Biodiversität überhaupt schaden.
Pflanzenschutz-Risiken systematisch überschätzt
Tatsächlich hatte Tiedemann in der Anhörung festgestellt, dass die Risiken der gegenwärtig eingesetzten Pflanzenschutzmittel aus wissenschaftlicher Sicht systematisch überschätzt werden. Er wies darauf hin, dass keine der weltweit vorliegenden Studien auch nur annähernd die in der bekannten „Krefeld-Studie“ behaupteten dramatischen Rückgänge der Insektenbiomasse bestätigt. Aktuelle Untersuchungen wie die des österreichischen Entomologen Thomas Zuna-Kratky zeigten vielmehr stabile Entwicklungen bei Artenvielfalt und -zahl auf.
Nicht nachvollziehen kann Tiedemann zudem, dass die Wohlfahrtseffekte von Pflanzenschutzmitteln, aber auch bereits erzielte Risikominderungen in der Debatte ignoriert werden. Der Agrarwissenschaftler plädiert dafür, die Agrarlandschaft hinsichtlich der Vielfalt ihrer Lebensräume zu optimieren. Pauschale Reduktionsziele für den Pflanzenschutzmitteleinsatz sind jedenfalls aus Tiedemanns Sicht für die Regulierung der Biodiversität die falsche Stellschraube.
Courbier: Es fehlt noch an Alternativen
Auch der Verband Der Agrarhandel (DAH) ist skeptisch, was den Nutzen solcher Vorgaben angeht. Er fordert, dass sich die Senkung des Mitteleinsatzes zwingend an der Verfügbarkeit wirksamer Alternativen orientieren muss.
DAH-Geschäftsführer Martin Courbier begrüßte grundsätzlich die politischen Ziele der EU-Kommission, chemische Pflanzenschutzmittel zu reduzieren und die Diversität von Pflanzen und Tieren EU-weit zu erhöhen. Dennoch dürften die Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Versorgungssicherheit gefährdet wird. „Der Landwirtschaft stehen derzeit keine wirksamen alternativen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, um beispielweise das Auftreten von Pflanzen- oder Pilztoxinen in Agrarprodukten zu verhindern“, betonte Courbier. Beispielsweise machten biologische Maßnahmen bisher nur 1 % des gesamten Pflanzenschutzes aus.
„Eine pauschale Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmittel heißt aktuell eben auch, dass die Erträge sinken werden, die Preise für Agrarprodukte steigen und die Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln gefährdet wird“, gibt der DAH-Geschäftsführer zu bedenken. Angesichts der angespannten globalen Versorgungssituation mit Lebens- und Futtermitteln müssten deshalb die Maßnahmen politischer Ziele klug abgewogen werden, damit die verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen weiterhin effizient genutzt werden und Nahrungsmittel bezahlbar bleiben.
Elverfeldt: Brauchen wissensbasierte Politik
Widerstand kommt ebenfalls vom Verband der Familienbetriebe Land und Forst. Dessen Vorsitzender Max v. Elverfeldt bezeichnet die Vorschläge der EU-Kommission als „nicht praxistauglich“. Sollte die EU-„Farm-to-Fork“- Strategie in der vorliegenden Form der Sustainable Use Regulation umgesetzt werden, wären allein in Deutschland 3,5 Millionen Hektar Ackerfläche betroffen, die faktisch aus der Nahrungsmittelproduktion entnommen werden würden, gibt von Elverfeldt zu bedenken.
Er bekräftigte daher seine Forderung nach einer wissensbasierten und zielorientierten Politik. Eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln könne nur durch Innovation in Züchtung und verbesserte Effektivität sowie standortbezogene Lösungen erreicht werden, so der Verbandsvorsitzende. Ein finanzielles Anreizsystem würde diesen Prozess nach seiner Überzeugung beschleunigen.