Die Ankündigung von Aldi, bald nur noch Frischfleisch aus Freiland- und Biohaltung zu verkaufen, hat das Potenzial die deutsche Tierhaltung grundlegender zu verändern als die Agrarpolitik der Minister Schmidt und Klöckner der vergangenen sieben Jahre.
Der Discounter zieht nicht nur auf der Überholspur an der Politik vorbei und macht dem Ruf des Handels als Defacto-Gesetzgeber alle Ehre. Aldi macht das, was sich die Landwirtinnen und Landwirte so sehnlichst wünschen: Klare Ansagen. Konkrete Ziele. Sagen, wo die Reise hingeht.
Ob die Marketingstrategen in der Essener Aldi-Zentrale allerdings auf dem Schirm haben, dass sie mit ihren ambitionierten Plänen gerade nicht bloß den Prospekt zur nächsten Grillaktion gestalten, sondern den Umbau der deutschen Tierhaltung, darf bezweifelt werden. Niemand kritisiert die Richtung, in die der Discounter die Tierhaltung treibt. Das Tempo erscheint aber mehr als sportlich.
Landwirte, Ministerien und Branchenverbände reiben sich verwundert die Augen, wie sich der Marktanteil von Fleisch der Haltungsstufen 3 (Aussenklima) und 4 (Freiland und Bio) innerhalb weniger Jahre aus der Nische heraus explosionsartig vermehren soll. Niemand kann sagen, aus welchen Ställen und welchen Herkunftsländern das Frischfleisch in den Regalen dann stammt. Wo die Milliardenbeträge für den Umbau herkommen sollen, steht völlig in den Sternen.
Fest steht dagegen eines: Aldi schafft gerade Fakten. Weitere Händler werden folgen, die Anforderungen werden sich kaum wieder zurückdrehen lassen. Das lässt tief blicken, wie die Macht in der deutschen Erzeugungskette für Lebensmittel verteilt ist, wer die Spielregeln macht und wer die Impulse setzt. Aldi geht am Pokertisch All In. Und das Risiko tragen nicht die ehrbaren Kaufleute selbst, sondern die deutschen Tierhalter. Falls sich die Pläne als zu ambitioniert erweisen wird Aldi sich „lösungsorientiert“ geben. Und das bedeutet: Im Zweifel im Jahr 2030 Tierwohl-Fleisch aus dem Ausland oder Fleischersatzprodukte in die weiterhin gutgefüllten Regale packen.
Die Landwirte genießen solche Privilegien am undankbaren Ende der Kette leider nicht. Sie brauchen jetzt die nötigen Instrumente und den verlässlichen Rahmen, um den Umbau ihrer Ställe endlich anzugehen. Hier steht die von Aldi überrumpelte Politik in der Pflicht und muss endlich liefern. Damit die benötigten Außenklimaställe gebaut werden können, müssen Zielkonflikte zwischen Tierwohl und Klimaschutz gelöst, die vielen Knoten im Bau- und Genehmigungsrecht endlich durchschlagen werden. Und bevor die Landwirte mit Milliardenbeträgen Beton für den Umbau- und Neubau ihrer Ställe anrühren, muss eine Perspektive geschaffen werden (Stichwort: Borchert-Kommission), dass sie diese Mehrkosten eines Tages amortisieren können.
Die Zeit drängt. Denn der Umbau der Tierhaltung ist eine Aufgabe für Minister, nicht für Marketingstrategen. Die Branche steht vor einer Mammutaufgabe und die Politik vor der vielleicht letzten Chance, den Wandel ohne Systembrüche und massive Abwanderungen ins Ausland zu gestalten. Packen wir es endlich an.