Trotz massiver Proteste an den ersten Entwürfen hält das BMWK bei seiner Kraftwerksstrategie an Erdgaskraftwerken und Wasserstoff aus Erdgas fest. Biogas soll dagegen keine Rolle spielen.
Die Bundesregierung hat sich im Rahmen des Wachstumspakets für die Wirtschaft auch auf die Kraftwerksstrategie geeinigt. Diese setzt die im Februar dieses Jahres mit den Koalitionsspitzen gefundene Einigung um. Die Einigung ist auch mit den Dienststellen der Europäischen Kommission abgestimmt. Im Vorgriff auf einen umfassenden Kapazitätsmechanismus werden insgesamt 12,5 GW an Kraftwerkskapazität und 500 MW an Langzeitspeichern ausgeschrieben. Die Umsetzung erfolgt im Rahmen eines Kraftwerkssicherheitsgesetzes in zwei Säulen:
In einer ersten Säule sollen zeitnah 5 Gigawatt an neuen wasserstofffähigen, fossilen Erdgaskraftwerken (H2-ready) und 2 GW an umfassenden H2-ready-Modernisierungen ausgeschrieben werden, die als Beitrag zur schnellen Dekarbonisierung des Kraftwerksparks ab dem 8. Jahr ihrer Inbetriebnahme/Modernisierung auf den Betrieb auf grünen oder blauen Wasserstoff gemäß Nationaler Wasserstoffstrategie umstellen müssen. Hinzu kommen 500 MW an reinen Wasserstoffkraftwerken, die sofort mit Wasserstoff laufen (Wasserstoffsprinter) und 500 MW Langzeitspeicher. Bei den Kraftwerken werden Investitionskosten und ab dem Umstieg auf Wasserstoff für 800 Vollbenutzungsstunden im Jahr die Differenzkosten zwischen Wasserstoff und Erdgas gefördert.
In einer zweiten Säule werden noch einmal 5 Gigawatt neue Gaskraftwerke ausgeschrieben, die insbesondere in Dunkelflauten einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Diese stellen quasi eine „Brücke“ in einen umfassenden, technologieoffenen Kapazitätsmechanismus dar, der ab 2028 operativ sein soll.
Die Kraftwerke sollen jeweils überwiegend im sog. „netztechnischen Süden“ Deutschlands zugebaut werden, um Redispatchkosten zu senken und zur Netzstabilität beizutragen.
Kritik des Hauptstadtbüros
Das Hauptstadtbüro Bioenergie (HBB), das mehrere Bioenergieverbände in Berlin vertritt, zeigt sich überrascht und enttäuscht von der Kraftwerksstrategie: Maßnahmen zur Nutzung des großen Potenzials von flexiblen Biogasanlagen und Holzheizkraftwerken zur Bereitstellung gesicherter und regelbarer Leistung hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nicht erwähnt. „Während die Bundesregierung 5 Gigawatt an reinen Erdgaskraftwerken plant, die nicht für einen Umstieg auf klimaneutrale Brennstoffe vorgesehen sind, werden gleichzeitig mehrere Gigawatt grüner Kraftwerksleistung der Bioenergie aufgrund des Ausschreibungsdesigns des EEG 2023 aufs Spiel gesetzt. Das ergibt keinen Sinn, weder aus volkswirtschaftlicher noch aus klimapolitischer Sicht“, kritisiert die Leiterin des Hauptstadtbüros, Sandra Rostek. Anstatt fossile Planspiele anzustellen, sollte die Bundesregierung statt Erdgas Bioenergieanlagen für die systemdienliche Rolle im Stromsystem wählen.
Statt Auftrieb ein Ausstiegspfad
Mit dem EEG 2023 hat der Gesetzgeber laut Rostek einen Ausstiegspfad aus der Energieerzeugung aus Biomasse vorgezeichnet, wonach das Ausschreibungsvolumen schrittweise abgesenkt wird. Gleichzeitig reizt das Ausschreibungsdesign des Biomethan-Segments aktuell keine wirtschaftlichen Anlagenkonzepte an, sodass in mehreren Ausschreibungsrunden hintereinander kein einziges Gebot eingegangen ist. Aktuell sehen sich daher mehrere hunderte Biogasanlagen gezwungen, über Stilllegungen nachzudenken, sofern sie nach dem Ende ihres EEG-Vergütungszeitraumen keinen Zuschlag für eine Anschlussvergütung erhalten. „Auch für neue Bioenergieanlagen bietet das aktuelle Konzept keine ausreichenden Anreize, obwohl es im besonderen Interesse des Hochtechnologiestandorts Deutschland liegen sollte, Neuanlagen zu ermöglichen und der technologischen Weiterentwicklung damit eine wirtschaftliche Grundlage zu geben“, sagt Rostek.
Dass mit der Kraftwerksstrategie stattdessen in großem Umfang der Bau fossiler Kraftwerke geplant ist, laufe dem Bestreben nach Klimaschutz entgegen und stößt auf Kritik des HBB: „Es wäre erstens für das Klima viel besser und zweitens nahezu kostenneutral, bereits bestehende Bioenergieanlagen in eine Anschlussvergütung zu überführen. Flexible Biomasseanlagen produzieren nicht umbedingt mehr Strom als unflexible Biogasanlagen. Diese konzentrieren ihre Strom- und Wärmeerzeugung jedoch auf Zeiten, in denen Wind- und Solarenergie nicht den gesamten Strombedarf decken können. So können durch die Vorteile der verlässlichen und flexiblen Bioenergie eine stabile Stromversorgung gesichert, Netze stabilisiert und insgesamt mehr Gigawatt Kraftwerksleistung realisiert werden,“ erklärt Rostek.
Bis 2030 könnte allein der bestehende Biogasanlagenpark laut einer Strommartkdesignstudie des Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut bis zu 12 GW Kraftwerksleistung ohne zusätzlichen Biomasseinput bereitstellen.
„Gerade in Zeiten knapper Kassen ist die Fortführung von Biomassebestandsanlagen eine Maßnahme, die die Bundesregierung unbedingt ergreifen muss. Nicht zuletzt auch aufgrund der Einigung in den jüngsten Haushaltsverhandlungen, wonach eine Flexibilisierung der Biomassebestandsanlagen explizit gefordert wird,“ resümiert Rostek.
Kritik an blauem Wasserstoff
„Das Kraftwerkssicherheitsgesetz ist ein guter Schritt in der Absicherung gegen die Dunkelflaute, reicht aber nicht aus: Durch den zusätzlichen Strombedarf von Wärmepumpen, E-Autos und Elektrolyseuren für grünen Wasserstoff erhöht sich der Leistungsbedarf in der Dunkelflaute trotz vorhandener Gaskraftwerke auf bis zu 50 Gigawatt“, sagt Prof. Dr. Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Zudem werde mit dem Gesetz primär blauer Wasserstoff, also Wasserstoff auf Basis von konventionellem Erdgas, gefördert, da viele Experten davon ausgehen, dass dieser früher und günstiger als grüner Wasserstoff verfügbar sein wird. „In Zeiten knapper Kassen stellt sich die Frage, warum das BMWK das Gesetz nicht technologieoffen ausgestaltet und nicht günstigere Optionen wie die Überbauung von Biogasanlagen oder die Integration von Wasserstoff über Power-to-Gas (Synthetic Natural Gas, SNG) nutzt oder auch Ammoniak und SNG als Wasserstoffderivate zulässt – gerade, um die Risiken des verzögerten Aufbaus der Wasserstoffinfrastruktur abzufedern und die Kosten im Zaum zu halten“, schlägt der Wissenschaftler vor.
Strom aus Reservekraftwerken auf Basis von Wasserstoff sei doppelt so teuer wie auf Basis von Biogas und langwieriger und riskanter in der Umsetzung. Dies zeige die Studie eines Kollegen, die sich gerade im Prozess der Veröffentlichung befindet. Zudem würden die Wasserstoffkraftwerke in ihren Einsatzzeiten den Strompreis an der Börse bestimmen, was einen deutlichen Strompreisanstieg zur Folge habe. Das werde zwar durch die Förderung der Differenzkosten zwischen Erdgas und Wasserstoff für 800 Vollbenutzungsstunden im Jahr ausgeglichen, aber die Kosten fallen dennoch in den Staatskassen zu Buche.
Rolle von grünem und blauem Wasserstoff
„Besonders zu kritisieren ist, dass sowohl der Einsatz von grünem als auch blauem Wasserstoff gefördert wird. Blauer Wasserstoff erfordert die dauerhafte Speicherung von CO2, die aus heutiger Sicht über 1000 Jahre nicht sichergestellt werden kann“, sagt Sterner. Blauer Wasserstoff verlängere die Nutzung von fossilem Erdgas und sei klimaschädlicher als grüner Wasserstoff oder andere grüne Gase. Er könne daher kaum mit der Begründung des Klimaschutzes legitimiert und über den Klima- und Transformationsfonds gefördert werden. Daher sei es nicht verständlich, warum blauer Wasserstoff gefördert werde, aber grüne Gase wie Biogas, Biomethan oder SNG nicht. „In der Stromversorgung käme das einer Förderung von Braunkohle mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) als ‚blauem Strom‘ gleich – bei zeitgleichem Ausschluss von grünem Strom aus Biogas.“
Rolle von Biogas und synthetischem Gas
Mit der Erhöhung der Generatorleistung an Biogasanlagen könne bei gleichem Biogasaufkommen deren Leistung auf 12 Gigawatt bis 2030 und 24 Gigawatt bis 2040 erhöht werden. Damit könne ein wesentlicher Teil der Dunkelflaute im Kohleausstieg abgesichert werden. Die EEG-Förderung sei hierfür jedoch nicht ausreichend. Das Potenzial von Biogas ließe sich über Power-to-Gas – also SNG aus grünem Wasserstoff – mengenmäßig nochmals verdoppeln und könne über die bestehende Infrastruktur samt Gasspeichern (290 Terrawattstunden) und Gaskraftwerken (36 Gigawatt) genutzt werden. „In der ersten europäischen Auktion für grünen Wasserstoff hat genau so ein SNG-Projekt mit biogenem CO2 die geringsten Differenz- und damit Förderkosten. Das zeigt, dass grüne Gase wie SNG eine ausgereifte und kosteneffiziente Technologie sind. Ähnliches ist mit Ammoniak zu erwarten“, so der Wissenschaftler.
In der weiteren Ausgestaltung des Gesetzes, insbesondere hinsichtlich der Langzeitspeicher, sollte daher der Fokus mehr auf grünen Wasserstoffderivaten wie SNG (Biomethan) und Ammoniak liegen. Die 2030er-Ziele der Klimaneutralität samt Kohleausstieg könnten so kostengünstiger, sicherer und schneller erreicht werden als über blauen Wasserstoff.
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Die Bundesregierung hat sich im Rahmen des Wachstumspakets für die Wirtschaft auch auf die Kraftwerksstrategie geeinigt. Diese setzt die im Februar dieses Jahres mit den Koalitionsspitzen gefundene Einigung um. Die Einigung ist auch mit den Dienststellen der Europäischen Kommission abgestimmt. Im Vorgriff auf einen umfassenden Kapazitätsmechanismus werden insgesamt 12,5 GW an Kraftwerkskapazität und 500 MW an Langzeitspeichern ausgeschrieben. Die Umsetzung erfolgt im Rahmen eines Kraftwerkssicherheitsgesetzes in zwei Säulen:
In einer ersten Säule sollen zeitnah 5 Gigawatt an neuen wasserstofffähigen, fossilen Erdgaskraftwerken (H2-ready) und 2 GW an umfassenden H2-ready-Modernisierungen ausgeschrieben werden, die als Beitrag zur schnellen Dekarbonisierung des Kraftwerksparks ab dem 8. Jahr ihrer Inbetriebnahme/Modernisierung auf den Betrieb auf grünen oder blauen Wasserstoff gemäß Nationaler Wasserstoffstrategie umstellen müssen. Hinzu kommen 500 MW an reinen Wasserstoffkraftwerken, die sofort mit Wasserstoff laufen (Wasserstoffsprinter) und 500 MW Langzeitspeicher. Bei den Kraftwerken werden Investitionskosten und ab dem Umstieg auf Wasserstoff für 800 Vollbenutzungsstunden im Jahr die Differenzkosten zwischen Wasserstoff und Erdgas gefördert.
In einer zweiten Säule werden noch einmal 5 Gigawatt neue Gaskraftwerke ausgeschrieben, die insbesondere in Dunkelflauten einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Diese stellen quasi eine „Brücke“ in einen umfassenden, technologieoffenen Kapazitätsmechanismus dar, der ab 2028 operativ sein soll.
Die Kraftwerke sollen jeweils überwiegend im sog. „netztechnischen Süden“ Deutschlands zugebaut werden, um Redispatchkosten zu senken und zur Netzstabilität beizutragen.
Kritik des Hauptstadtbüros
Das Hauptstadtbüro Bioenergie (HBB), das mehrere Bioenergieverbände in Berlin vertritt, zeigt sich überrascht und enttäuscht von der Kraftwerksstrategie: Maßnahmen zur Nutzung des großen Potenzials von flexiblen Biogasanlagen und Holzheizkraftwerken zur Bereitstellung gesicherter und regelbarer Leistung hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nicht erwähnt. „Während die Bundesregierung 5 Gigawatt an reinen Erdgaskraftwerken plant, die nicht für einen Umstieg auf klimaneutrale Brennstoffe vorgesehen sind, werden gleichzeitig mehrere Gigawatt grüner Kraftwerksleistung der Bioenergie aufgrund des Ausschreibungsdesigns des EEG 2023 aufs Spiel gesetzt. Das ergibt keinen Sinn, weder aus volkswirtschaftlicher noch aus klimapolitischer Sicht“, kritisiert die Leiterin des Hauptstadtbüros, Sandra Rostek. Anstatt fossile Planspiele anzustellen, sollte die Bundesregierung statt Erdgas Bioenergieanlagen für die systemdienliche Rolle im Stromsystem wählen.
Statt Auftrieb ein Ausstiegspfad
Mit dem EEG 2023 hat der Gesetzgeber laut Rostek einen Ausstiegspfad aus der Energieerzeugung aus Biomasse vorgezeichnet, wonach das Ausschreibungsvolumen schrittweise abgesenkt wird. Gleichzeitig reizt das Ausschreibungsdesign des Biomethan-Segments aktuell keine wirtschaftlichen Anlagenkonzepte an, sodass in mehreren Ausschreibungsrunden hintereinander kein einziges Gebot eingegangen ist. Aktuell sehen sich daher mehrere hunderte Biogasanlagen gezwungen, über Stilllegungen nachzudenken, sofern sie nach dem Ende ihres EEG-Vergütungszeitraumen keinen Zuschlag für eine Anschlussvergütung erhalten. „Auch für neue Bioenergieanlagen bietet das aktuelle Konzept keine ausreichenden Anreize, obwohl es im besonderen Interesse des Hochtechnologiestandorts Deutschland liegen sollte, Neuanlagen zu ermöglichen und der technologischen Weiterentwicklung damit eine wirtschaftliche Grundlage zu geben“, sagt Rostek.
Dass mit der Kraftwerksstrategie stattdessen in großem Umfang der Bau fossiler Kraftwerke geplant ist, laufe dem Bestreben nach Klimaschutz entgegen und stößt auf Kritik des HBB: „Es wäre erstens für das Klima viel besser und zweitens nahezu kostenneutral, bereits bestehende Bioenergieanlagen in eine Anschlussvergütung zu überführen. Flexible Biomasseanlagen produzieren nicht umbedingt mehr Strom als unflexible Biogasanlagen. Diese konzentrieren ihre Strom- und Wärmeerzeugung jedoch auf Zeiten, in denen Wind- und Solarenergie nicht den gesamten Strombedarf decken können. So können durch die Vorteile der verlässlichen und flexiblen Bioenergie eine stabile Stromversorgung gesichert, Netze stabilisiert und insgesamt mehr Gigawatt Kraftwerksleistung realisiert werden,“ erklärt Rostek.
Bis 2030 könnte allein der bestehende Biogasanlagenpark laut einer Strommartkdesignstudie des Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut bis zu 12 GW Kraftwerksleistung ohne zusätzlichen Biomasseinput bereitstellen.
„Gerade in Zeiten knapper Kassen ist die Fortführung von Biomassebestandsanlagen eine Maßnahme, die die Bundesregierung unbedingt ergreifen muss. Nicht zuletzt auch aufgrund der Einigung in den jüngsten Haushaltsverhandlungen, wonach eine Flexibilisierung der Biomassebestandsanlagen explizit gefordert wird,“ resümiert Rostek.
Kritik an blauem Wasserstoff
„Das Kraftwerkssicherheitsgesetz ist ein guter Schritt in der Absicherung gegen die Dunkelflaute, reicht aber nicht aus: Durch den zusätzlichen Strombedarf von Wärmepumpen, E-Autos und Elektrolyseuren für grünen Wasserstoff erhöht sich der Leistungsbedarf in der Dunkelflaute trotz vorhandener Gaskraftwerke auf bis zu 50 Gigawatt“, sagt Prof. Dr. Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Zudem werde mit dem Gesetz primär blauer Wasserstoff, also Wasserstoff auf Basis von konventionellem Erdgas, gefördert, da viele Experten davon ausgehen, dass dieser früher und günstiger als grüner Wasserstoff verfügbar sein wird. „In Zeiten knapper Kassen stellt sich die Frage, warum das BMWK das Gesetz nicht technologieoffen ausgestaltet und nicht günstigere Optionen wie die Überbauung von Biogasanlagen oder die Integration von Wasserstoff über Power-to-Gas (Synthetic Natural Gas, SNG) nutzt oder auch Ammoniak und SNG als Wasserstoffderivate zulässt – gerade, um die Risiken des verzögerten Aufbaus der Wasserstoffinfrastruktur abzufedern und die Kosten im Zaum zu halten“, schlägt der Wissenschaftler vor.
Strom aus Reservekraftwerken auf Basis von Wasserstoff sei doppelt so teuer wie auf Basis von Biogas und langwieriger und riskanter in der Umsetzung. Dies zeige die Studie eines Kollegen, die sich gerade im Prozess der Veröffentlichung befindet. Zudem würden die Wasserstoffkraftwerke in ihren Einsatzzeiten den Strompreis an der Börse bestimmen, was einen deutlichen Strompreisanstieg zur Folge habe. Das werde zwar durch die Förderung der Differenzkosten zwischen Erdgas und Wasserstoff für 800 Vollbenutzungsstunden im Jahr ausgeglichen, aber die Kosten fallen dennoch in den Staatskassen zu Buche.
Rolle von grünem und blauem Wasserstoff
„Besonders zu kritisieren ist, dass sowohl der Einsatz von grünem als auch blauem Wasserstoff gefördert wird. Blauer Wasserstoff erfordert die dauerhafte Speicherung von CO2, die aus heutiger Sicht über 1000 Jahre nicht sichergestellt werden kann“, sagt Sterner. Blauer Wasserstoff verlängere die Nutzung von fossilem Erdgas und sei klimaschädlicher als grüner Wasserstoff oder andere grüne Gase. Er könne daher kaum mit der Begründung des Klimaschutzes legitimiert und über den Klima- und Transformationsfonds gefördert werden. Daher sei es nicht verständlich, warum blauer Wasserstoff gefördert werde, aber grüne Gase wie Biogas, Biomethan oder SNG nicht. „In der Stromversorgung käme das einer Förderung von Braunkohle mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) als ‚blauem Strom‘ gleich – bei zeitgleichem Ausschluss von grünem Strom aus Biogas.“
Rolle von Biogas und synthetischem Gas
Mit der Erhöhung der Generatorleistung an Biogasanlagen könne bei gleichem Biogasaufkommen deren Leistung auf 12 Gigawatt bis 2030 und 24 Gigawatt bis 2040 erhöht werden. Damit könne ein wesentlicher Teil der Dunkelflaute im Kohleausstieg abgesichert werden. Die EEG-Förderung sei hierfür jedoch nicht ausreichend. Das Potenzial von Biogas ließe sich über Power-to-Gas – also SNG aus grünem Wasserstoff – mengenmäßig nochmals verdoppeln und könne über die bestehende Infrastruktur samt Gasspeichern (290 Terrawattstunden) und Gaskraftwerken (36 Gigawatt) genutzt werden. „In der ersten europäischen Auktion für grünen Wasserstoff hat genau so ein SNG-Projekt mit biogenem CO2 die geringsten Differenz- und damit Förderkosten. Das zeigt, dass grüne Gase wie SNG eine ausgereifte und kosteneffiziente Technologie sind. Ähnliches ist mit Ammoniak zu erwarten“, so der Wissenschaftler.
In der weiteren Ausgestaltung des Gesetzes, insbesondere hinsichtlich der Langzeitspeicher, sollte daher der Fokus mehr auf grünen Wasserstoffderivaten wie SNG (Biomethan) und Ammoniak liegen. Die 2030er-Ziele der Klimaneutralität samt Kohleausstieg könnten so kostengünstiger, sicherer und schneller erreicht werden als über blauen Wasserstoff.